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„Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst.“ – Als die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel im März 2020 diese Worte sprach, ahnte wohl niemand, was uns in den nächsten Jahren erwartet: Die Coronapandemie mit Sorgen um die eigene Gesundheit, die Wirtschaft und das soziale Miteinander. Dann im Sommer 2021 eine Flutkatastrophe, die endgültig klar machte: Die Klimakrise ist da, hier und jetzt. Und nun seit Februar 2022 der Ukraine-Konflikt, ein Angriffskrieg mitten in Europa.
„Gerade in der heutigen Zeit ist es normal, Angst zu haben“, stellt Sven Püffel fest. Der psychologische Berater, Psychotherapeut und Psychologie-Dozent an der Hochschule Fresenius in Hamburg hat bereits viele berufliche Erfahrung mit Menschen, die an Ängsten leiden, gesammelt. Nun spricht er mit uns darüber, was Angst ist, wie wir ihr begegnen können und warum wir keine Angst vor der Angst haben müssen. Zudem geben wir Ihnen hilfreiche Tipps, wie Sie besser mit Angst umgehen können.
Angst wirkt im Wesentlichen auf vier Ebenen. Erstens auf der kognitiven Ebene: Wir grübeln, machen uns viele Gedanken und beschäftigen uns in unserem Kopf mehr oder weniger ständig mit den Dingen, die uns Angst machen. Zweitens auf der körperlichen Ebene, die von Ruhelosigkeit und Anspannung, aber auch von Panikattacken und Herzrasen geprägt sein kann. Die dritte ist die emotionale Ebene, denn Angst ist mit vielen anderen Gefühlen assoziiert und kann zum Beispiel in Hilflosigkeit, Unsicherheit und Wut umschlagen. Die vierte Ebene ist schließlich, dass Angst immer ein Verhalten auslöst, sei es, dass wir den Kopf in den Sand stecken, uns mit den Dingen auseinandersetzen, uns engagieren oder aber, dass wir uns dysfunktional verhalten und beispielsweise zu Alkohol oder Drogen greifen.
Das Besondere an unserer Zeit ist meiner Meinung nach, dass wir angesichts der Probleme und möglichen Bedrohungen – der Coronapandemie, des Klimawandels und des Ukraine-Kriegs – ganz vielfältige Ängste haben können. Gleichzeitig haben der anhaltende Krisenzustand und die damit verbundenen Herausforderungen in den letzten beiden Jahren dazu geführt, dass sich unsere Vulnerabilität, also Verletzbarkeit, deutlich erhöht hat und unsere Resilienz, sprich unsere Widerstandskraft, stark gesunken ist. Deshalb fällt es uns gerade schwerer, mit solchen Ereignissen emotional umzugehen.
Zunächst einmal: Man braucht keine Angst vor der Angst zu haben. Vielmehr ist es gerade in der heutigen Zeit normal, Angst zu haben. Sie ist eine menschliche Grundemotion, die der Mensch kennt, seitdem es ihn gibt, genauso wie Trauer, Wut oder Freude. Sie ist auch eine völlig normale Reaktion auf Bedrohungen. Wenn wir Angst haben, sind wir vorsichtiger und nehmen die Gefahren schneller wahr. Wir schätzen die Dinge stärker danach ein, ob sie ein Risiko für uns darstellen, und schauen, ob wir uns vor ihnen schützen können. Angst ist also für uns nicht nur sinnvoll, sondern auch überlebenssichernd und fördert darüber hinaus die Gemeinschaft. Denn Menschen halten gerade in schweren, beängstigenden Situationen stärker zusammen.
Angst ist ein sehr hilfreiches Gefühl, das kurzfristig gesehen keine negativen Wirkungen hat. Die Probleme entstehen erst, wenn Angstgefühle zu stark werden und aus Ängsten eine Angststörung oder eine pathologische Angst wird. Oder wenn man langfristig unter ihnen leidet, dauerhaft grübelt und sich immer stärker zurückzieht. Dann kann Angst zu einem permanenten Stress führen, der sich negativ auf unser Immunsystem auswirken kann, aber auch zu Hilflosigkeit, Depressivität und Wut.
„Ich glaube, dass wir noch immer den Fehler machen, eine Gesellschaft sein zu wollen, die frei von Angst und negativen Emotionen ist. Dagegen kommt es jetzt darauf an, über unsere Ängste zu sprechen.“
– Sven Püffel ist Psychologischer Psychotherapeut in eigener Praxis, psychologischer Berater und Psychologie-Dozent an der Hochschule Fresenius in Hamburg.
Es ist für die letzten Jahrzehnte etwas wirklich Neues, dass wir dauerhaft in einer Situation leben, in der Ängste eine so große Rolle spielen. Gleichzeitig ist die mediale Berichterstattung eine ganz andere als noch vor einigen Jahren: Heute können wir vor allem über Social Media den Krieg von früh bis spät hautnah miterleben und sind dort im Gegensatz zu Fernsehnachrichten oder der Tageszeitung, wo die Bilder vorab selektiert werden, ungefiltert Reizen ausgesetzt, die wiederum Ängste auslösen. Darüber hinaus kann der Konsum der Inhalte zum sogenannten Doomscrolling, also dem anhaltenden Scrollen durch Bilder und Nachrichten des „Verderbens“, führen. Auf diese Weise erhalten wir kurzfristig ein Kontrollgefühl, auf Dauer beschäftigen wir uns aber immer mehr mit den Grausamkeiten des Krieges.
Das alles sind Dinge, bei denen unsere bisherigen Umgangsformen mit angstauslösenden Reizen nicht funktionieren und wo wir neue Wege finden müssen, damit wir mit der Angst umgehen können. Wenn man es evolutionstheoretisch betrachtet, haben wir im Grunde drei Möglichkeiten: Fliehen, Kämpfen oder Erstarren – und diese Möglichkeiten sind langfristig gesehen keine guten Mechanismen. Denn Fliehen bedeutet auf Dauer, sich emotional weniger zu involvieren, sich zurückzuziehen und abzustumpfen. Kämpfen kann vielleicht hilfreich sein, wenn man zum Beispiel zu einer Friedensdemonstration geht. Wenn es aber darin mündet, dass man ständig mit Wutgefühlen gegenüber Putin oder im Fall von Querdenken gegenüber der eigenen Regierung konfrontiert ist, ist das für die einzelne Person und die Gesellschaft keine Lösung. Und das Erstarren oder Erdulden ist ein Zustand des Aushaltens, der uns in dieser dauerhaften Bedrohungssituation nach und nach psychisch kaputtmachen würde.
Ich denke, wir sind als Gesellschaft erst noch dabei, einen funktionalen Umgang mit langfristiger Angst zu finden. Wir sortieren uns gerade und probieren verschiedene Bewältigungsstrategien aus. Dabei geht es für uns auch darum, wie wir als Einzelpersonen und als Gesellschaft unseren Medienkonsum verändern, einen Schutz gegen die immer neuen Nachrichten aufbauen und lernen, wie wir über unsere Ängste sprechen können. Ich glaube, dass wir noch immer den Fehler machen, eine Gesellschaft sein zu wollen, die frei von Angst und negativen Emotionen ist. Dagegen kommt es jetzt darauf an, über unsere Ängste zu sprechen. Ich mag in diesem Rahmen den Begriff der radikalen Akzeptanz, also sagen zu können, dass die Zeiten schwierig sind und es gerechtfertigt ist, Angst zu haben, damit wir uns mit unseren Ängsten auseinandersetzen, sie ein Stück weit akzeptieren und so besser mit Angst umgehen können. Das ist etwas, das wir als Gesellschaft lernen müssen.
„Und plötzlich ist alles anders!“
Wie hat die Coronapandemie das Leben junger Menschen verändert? Was hat sie für die Schule bedeutet und was für den Übergang ins Studium? Interessante Informationen und spannende Einblicke hören Sie in der Folge „Und plötzlich ist alles anders!“ des Podcasts Campusgeflüster. Hier finden Sie diese und alle weiteren Folgen.
Es gibt eine interessante Metapher, wie wir mit Angst umgehen können – oder besser gesagt nicht umgehen sollten: Stellen Sie sich vor, Sie stehen in einem Pool und drücken einen Wasserball unter Wasser. Das ist erstens auf Dauer sehr anstrengend. Zweitens lässt es nicht viel Beschäftigung mit anderen Dingen zu. Und drittens springt der Ball, sobald Sie keine Kraft mehr haben, mit aller Kraft nach oben. Man sollte also Ängste nicht unterdrücken, sondern sie zulassen und akzeptieren.
Ein guter Tipp ist dabei, dass man mit den Dingen, die man nicht kontrollieren kann, realistisch umgeht, sich aber auf die Dinge, die man kontrollieren kann, konzentriert. Zum Beispiel können wir politische Entscheidungen nur sehr wenig oder gar nicht beeinflussen. Aber wir können uns um uns selbst kümmern, auf unseren Stresspegel und unsere Vulnerabilität achten und unsere Resilienz stärken. Wir können beispielsweise Sport treiben, denn Sport hat einen nachgewiesenen depressions- und angstreduzierenden Effekt, wir können uns mit unseren Freunden treffen, die Familie besuchen und die Dinge tun, die wir gern machen. Wir können uns aber auch engagieren und vielleicht Flüchtlingen helfen oder in einer Umweltgruppe aktiv werden. Zudem ist es wichtig, offen über das, was uns konkret Angst macht, zu sprechen. Ich meine damit zum Beispiel, dass wir nicht nur andeuten, wie uns der Ukraine-Krieg bewegt, indem wir darüber sprechen, welche Strategie gegen Putin die beste ist, sondern direkt sagen, wie uns der Ukraine-Konflikt ganz persönlich verunsichert.
Angst ist ein menschliches Grundgefühl und gehört genauso zu Ihnen wie andere Gefühle auch. Lassen Sie sie deshalb – gerade in Zeiten wie diesen, in denen sehr viele Menschen Ängste haben – zu. Dann können Sie herausfinden, wie Sie am besten mit Ihrer Angst umgehen können.
Wie sehen Ihre Lebensbedingungen gerade aus? Wie stressig ist Ihr Alltag? Und können Sie sich und Ihrem Körper etwas Gutes tun? „Je vulnerabler, also verletzungsanfälliger, der Körper ist, desto sensibler reagiert man auf Angstreize“, erklärt Sven Püffel. Achten Sie daher vor allem auf eine gute Ernährung, genug Schlaf und eine gesunde Work-Life-Balance.
Sport stärkt nicht nur Ihren Körper und lenkt Sie von den Dingen ab, die Ihnen vielleicht Angst machen. Sport und Bewegung haben auch einen depressions- und angstreduzierenden Effekt. Das zeigen gleich mehrere Studien, so Sven Püffel: „Sport ist gerade als Kurzzeitmaßnahme enorm hilfreich.“ Gehen Sie also raus, machen Sie einen Spaziergang oder eine Wanderung, gehen Sie Laufen oder machen Sie einfach den Sport, der Ihnen Spaß macht.
Was müssen Sie wissen, um auf dem neuesten Stand zu bleiben? Welche Neuigkeiten sind relevant für Sie? Und welche Bilder und Details gehen über das Informieren hinaus und fördern Ihre Ängste? „Man sollte sich klar machen, welche Nachrichtenquellen und Arten von Nachrichten emotional stark triggern und diese möglichst meiden“, erläutert Sven Püffel. „Wenn zum Beispiel Kriegsbilder oder Videos Ängste auslösen, kann man auf weniger emotionalisierende Medien wie das Radio oder Podcasts ausweichen.“
Doomscrolling – eine Wortkomposition aus doom, also Verderben, und scrollen – ist eine Falle, die uns vor allem auf Social-Media-Plattformen erwartet. Wir werden ständig mit neuen, noch schlimmeren Nachrichten konfrontiert und sehen immer mehr noch krassere Bilder und Videos. „Ab einem bestimmten Punkt geht es nicht mehr um Nachrichten, sondern nur noch darum, emotional aktiviert zu werden. Daher sollte man seine Mediennutzung aktiv selektieren“, rät Sven Püffel.
Oft schleichen sich Ängste bei uns ein, ohne dass wir es bemerken. Wenn sie aber erst einmal da sind, wirken sie auf uns häufig überfordernd. Versuchen Sie daher, Ihre Ängste wieder in den Griff zu bekommen, indem Sie sie in einem Gefühlstagebuch reflektieren. Sven Püffel erklärt: „Es ist ein Unterschied, ob man vor sich hin grübelt oder reflektierend aufschreibt, was man fühlt. Die Reflexion der Gefühle kann den Umgang mit ihnen erleichtern und direkt einen entlastenden Effekt haben.“ Neben einem Gefühlstagebuch kann auch eine Meditations- oder Achtsamkeitsapp helfen, sich mit Ängsten auseinanderzusetzen.
Gerade in Zeiten wie diesen können Sie sich sicher sein: Sie sind mit Ihrer Angst nicht allein. Sprechen Sie daher zum Beispiel mit Ihren Freund:innen oder Ihrer Familie darüber, wie Sie sich fühlen. Gemeinsam können Sie sich gegenseitig unterstützen und sich helfen, die Ängste besser in den Griff zu bekommen.
„Wenn die Hilfe im Privaten nicht ausreicht, sollte man nicht davor zurückschrecken, sich professionelle Unterstützung, zum Beispiel in einer Beratungsstelle, zu suchen“, ergänzt Sven Püffel. „Diese Art von Hilfe ist unterschwellig und kostenlos und wird meiner Meinung nach noch viel zu selten genutzt. Auch an der Hochschule gibt es Vertrauensdozierende und eine psychologische Beratung, an die sich Studierende wenden können.“
Im Gegensatz zu einem gebrochenen Bein, bei dem alle den Gips sehen, kann man Angst sehr gut verstecken und im Alltag ganz normal funktionieren. Es ist also gar nicht so leicht zu erkennen, ob eine Person unter Ängsten leidet. Man kann aber einen Vorher-Nachher-Vergleich machen, indem man sich zum Beispiel fragt: Hat sich die Person in letzter Zeit auf besondere Weise verändert? Hat sie sich stark zurückgezogen? Meldet sie sich vielleicht deutlich weniger? Grübelt sie viel mehr als sonst? Habe ich das Gefühl, dass sie weniger gesprächig, traurig oder allgemein in einer schlechteren Stimmung ist? Oder beschäftigt sich die Person fast nur noch mit einer einzigen Thematik, sodass bei ihr kein anderes Thema mehr Raum hat? Das alles kann darauf hinweisen, dass die Person unter Ängsten leidet. Man kann dann seine Beobachtungen offen thematisieren und beispielsweise sagen: Mir ist aufgefallen, dass du dich in letzter Zeit viel seltener meldest als früher. Oder: Ich habe das Gefühl, du beschäftigst dich nur noch mit Corona oder dem Ukraine-Krieg. Danach sollte man der Person Raum geben, damit sie erzählen kann, wie es ihr geht. Anschließend kann man sensibel auf die Dinge eingehen.
Hat man das Gefühl, dass die Person mehr Unterstützung braucht, sollte man nicht davor zurückschrecken, das Thema professionelle Hilfe anzusprechen. Es gibt viele unterschwellige Angebote, die Menschen unkompliziert und kostenlos helfen. Für Studierende der Hochschule, die Hilfe suchen, gibt es übrigens darüber hinaus an den Standorten die Möglichkeit, die Vertrauensdozierenden oder eine psychologische Beratung aufzusuchen. Was aber in allen FälleSie interessieren sich dafür, was Emotionen in uns bewirken können, und möchten mehr über die Psyche des Menschen erfahren? Dann informieren Sie sich über unseren Bachelorstudiengang Psychologie (B.Sc.) oder das Masterstudium Psychologie (M.Sc.). Zudem finden Sie an der Hochschule Fresenius zahlreiche weitere Studiengänge im Bereich Psychologie.n zentral ist: Letztendlich ist es die Entscheidung der betroffenen Person selbst, ob sie über ihre Ängste spricht und ob und welche Hilfe sie in Anspruch nimmt. Denn auch in diese Richtung gilt die radikale Akzeptanz.
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