Zwei Finger, die bemalt sind

Wie wichtig ist körperliche Nähe für unser Wohlbefinden?

In Zeiten der Pandemie kamen und kommen zwischenmenschliche Interaktionen oft zu kurz. Vorlesungen, Treffen mit Freund:innen oder auch die Arbeit wurde ins Virtuelle versetzt. Verschärfte Kontaktbeschränkungen und Empfehlungen zu Alternativen von Umarmungen und Händeschütteln taten ihr Übriges, um Körperkontakt zu verhindern. Doch was fehlt uns auf Dauer, wenn Körperkontakt in vielen Fällen ausbleibt? Prof. Dr. Claudia Gerhardt, Studiendekanin Wirtschaftspsychologie (B.Sc.) in Hamburg, weiß, wie sich Beziehungen im Privaten und der Arbeitswelt in den letzten Jahren verändert haben und warum uns körperliche Nähe guttut.

Körperkontakt ist in verschiedenen Situationen für die meisten von uns normal. Durch Corona hat sich das verändert. Wie unterscheidet sich ein Händeschütteln bei der Arbeit oder in geschäftlichen Meetings zum Winken – virtuell oder im wahren Leben? Wie wirkt sich das auf die Beziehung der Teilnehmenden aus?

Prof. Dr. Claudia Gerhardt: „Wie man sich angemessen begrüßt, ist kulturell sehr unterschiedlich geregelt. Gesten, wie sie zur Begrüßung genutzt werden, wie z. B. auch das Verbeugen oder ein Knicks sind typischerweise im Laufe der Sozialisation erlernt. So ist auch das Händeschütteln eine über lange Zeit hinweg etablierte und gelernte Geste. Bis ins Römische Reich lässt sich seine Geschichte zurückverfolgen. Da mit der rechten Hand typischerweise die Waffe geführt wurde, ist eine entgegengestreckte leere Hand eine friedliche, freundschaftliche Geste.

Das Gegenteil einer geballten Faust sozusagen. Sogar Verträge besiegelte man nicht selten per Handschlag. Daher signalisiert dieser eine hohe Verbindlichkeit. Seit Corona ist der Handschlag nun aus hygienischen Gründen in der Kritik. Winken ist traditionell eine deutlich distanziertere und unverbindlichere Geste. Sie basiert nicht auf Berührung und deren Macht darf man nicht unterschätzen. Ein Winken kann in bestimmten Situationen sogar als unhöflich und unpassend empfunden werden. Nicht allen, aber vielen Menschen fehlt durch die Pandemie-Situation der verbindliche, nahe Kontakt zu Mitmenschen, zu dem auch Berührungen gehören.“

Bild: Prof. Dr. Claudia Gerhardt, Studiendekanin Wirtschaftspsychologie (B.Sc.) in Hamburg

Prof. Dr. Claudia Gerhardt

Finden Sie, dass es gute Alternativen zum Händeschütteln gibt, die Gesprächspartner:innen auf ein ähnliches persönliches Level bringen wie zuvor der Händedruck?

Prof. Dr. Claudia Gerhardt: „Da sind die Menschen doch schon sehr kreativ gewesen, wenn man z. B. an den Faust- oder Ellbogen-Check denkt. Wir haben auch noch andere nonverbale Optionen, um Nähe, Aufmerksamkeit und persönlichen Kontakt und Interesse zum Ausdruck zu bringen. Ein leicht geneigter Kopf signalisiert freundschaftliche Zuwendung, ein lange gehaltener Blickkontakt, womöglich mit einem Lächeln und Nicken kombiniert, zeigt an, dass wir den anderen wahrnehmen und ihn schätzen. Auch ein leichtes Verbeugen oder wie in anderen Kulturen üblich eine Kombination mit vor der Brust aneinander gelegten Händen drückt einen hohen Respekt aus.“

Und wie ist es im Privaten? Wie wirken sich fehlende Umarmungen auf uns aus?

Prof. Dr. Claudia Gerhardt: „Wie ein Kollege immer zu seiner kleinen Tochter sagt, wenn sie traurig ist: „Kuscheln hilft“. Und da ist ja auch viel Wahres dran! Martin Grundwald, ein Experimentalpsychologe, hat sein bekanntes Buch „Homo Hapticus“ genannt und das trifft den Nagel auf den Kopf. Fühlen ist für uns viel existenzieller und wichtiger als das Sehen, Riechen oder Hören. Berührungsmangel ist daher für viele Menschen schwer zu ertragen. Es ist empirisch gut belegt, dass Berührungen uns glücklich machen und sogar das Immunsystem stärken. Kuscheln respektive Körperkontakt ist ja ein Coping-Mechanismus und hilft, Stress zu bewältigen. Für Babys ist Körperkontakt überlebenswichtig. Kein Säugling entwickelt sich gut ohne körperliche Stimulation. Es ist die erste Sprache, die wir lernen und eine elementare Form der Kommunikation. Ein in den Arm nehmen schenkt uns das Gefühl der Zugehörigkeit und Trost. Wenn uns das fehlt, dann kann das wie eine kleine seelische Folter empfunden werden, oder ein ungestilltes Bedürfnis, das uns schmerzt. Denn die stete bewusste Kontrolle und der Verzicht bedeutet auch, dass wir Stress erleben.“

Mann lächelt beim Händeschütteln.
Eine Frau kuschelt mit ihrer Katze.
Eine Frau winkt in einem Video-Call in Richtung der Kamera.

    Können virtuelle Treffen, das Zusammensitzen und die Nähe einer „echten“ Begegnung ersetzen?

    Prof. Dr. Claudia Gerhardt: „Sie können sicher einige Aspekte echter Begegnungen kompensieren, weil natürlich auch das Sehen und Sprechen mit anderen höchst relevant für unser Wohlsein ist. Die körperliche Nähe können sie allerdings nicht ausgleichen, weil unser somatosensorisches System, unsere Haut und unser Tastsinn davon nicht tangiert sind.“

    Aber wenn Berührung nicht möglich ist, was aktuell in der Pandemie ja häufig vorkommt: Was können wir uns und unserer Psyche Gutes tun, das sich ähnlich auswirkt wie Kuscheln oder Umarmungen?

    Prof. Dr. Claudia Gerhardt: „Es ist sicher kein Zufall, dass sich viele Menschen in der Corona-Zeit Tiere angeschafft haben. Der Kontakt zu Säugetieren kann hilfreich sein. Ein Tipp wäre, sich Tiere z. B. stundenweise aus dem Tierheim zu holen oder den Hund der Nachbarin Gassi zu führen. Oder aber Sie organisieren sich professionelle Massagen. Es gibt tatsächlich auch professionelle Kuschler  und Kuschlerinnen, die unter Einhaltung der entsprechenden Vorschriften professionelle Berührungsreize anbieten. Und by the way: Das „Kuschel-Hormon“ Oxytocin wird auch beim langsamen und genussvollen Essen ausgestoßen.“