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Ob Professor:innen, Vorgesetzte, Freunde oder Kommiliton:innen, Popstars oder Figuren aus Serien und Filmen – wir alle kennen Personen, von denen wir uns das eine oder andere abschauen: Vorbilder bieten uns wichtige Orientierung. Sie zeigen uns Wege, wie wir unsere Ziele erreichen, und helfen uns, gesünder zu leben, sportlicher zu werden oder mehr Geld zu verdienen. Doch sie müssen nicht immer gut für uns sein. Denn gerade in den letzten Jahren etablieren sich immer mehr Influencer:innen als professionalisierte Vorbilder, die uns auf TikTok, Instagram, YouTube und Co. ein perfektes Leben präsentieren und dazu gleich die passenden Produktplatzierungen liefern.
Sollte man also in der digitalisierten Welt von heute überhaupt noch von Vorbildern lernen? Was sind Vorbilder genau und wie funktioniert Modelllernen? Und können Vorbilder dabei helfen, im Studium besser weiterzukommen? Darüber sprachen wir mit Kim Mysliwczyk, Dozentin für Psychologie (B.Sc.) und Wirtschaftspsychologie (B.Sc.) an der Hochschule Fresenius in Düsseldorf.
Ich würde diese Frage nicht pauschal beantworten. Man kann auf der einen Seite davon sprechen, dass Influencer:innen einen großen Teil unserer Vorbilder in der digitalisierten Welt ausmachen. Sie haben mittlerweile einen echten Promi-Status, sind aber im Gegensatz zu Prominenten aus dem alten, analogen Medienzeitalter für ihre Follower:innen leichter zugänglich und geben ihnen viel detailliertere Einblicke in ihr Leben. Auf der anderen Seite finden wir unsere Vorbilder heute nicht nur online, sondern eben auch im realen Leben, in Serien und Filmen oder in Büchern, und das unabhängig von der fortschreitenden Digitalisierung.
Influencer:innen liefern uns beispielsweise Anreize, um alternative Lebenskonzepte außerhalb des Nine-to-five-Jobs kennenzulernen. Die Art und Weise, wie sie sich in den sozialen Medien präsentieren, ist aber häufig perfektionsgeleitet. Dadurch wirkt ihr Leben einfach nur schön, während man die 24/7-Arbeit, die dahintersteckt, nicht sieht. Zudem teilen Influencer:innen neben Produktplatzierungen und Empfehlungen auch sehr persönlichen Content und geben Einblicke in das persönliche Leben. Auf diese Weise verschiebt sich sowohl auf der Seite der Influencer:innen als auch der Follower:innen das Nähe-Distanz-Verhältnis: Es kann also vorkommen, dass Menschen danach streben, so wie die Influencer:innen zu sein, was zu einem erhöhten Stressempfinden führen kann. Denn gerade soziale Medien suggerieren uns häufig, dass andere besser, schöner und glücklicher als wir sind. Und das kann sich besonders bei einem geringen Selbstwertgefühl oder bei einer generellen Unzufriedenheit auf die Menschen negativ auswirken.
Die Dauer des Konsums der sozialen Medien ist ebenfalls ein wichtiger Faktor und natürlich haben die Inhalte Einfluss auf das Individuum. Bei Influencer:innen gibt es hierbei verschiedene Schwerpunkte. So kann man, je nachdem, wofür man sich interessiert, informative Inhalte – zum Beispiel Infos zu Sport – oder auch problematische Inhalte – wie zum Beispiel polarisierende Infos zur Coronapandemie oder dem Ukraine-Krieg – abgreifen. Denn im Gegensatz zu Streamingdiensten oder dem linearen Fernsehen sind soziale Medien durch die Subjektivität jedes einzelnen Mitglieds geprägt. Das ist zum einen gewinnbringend, weil in ihnen viele verschiedene Perspektiven, Erfahrungsschätze und Einstellungen aufeinandertreffen. Zum anderen kann es zu einem Problem werden, wenn man sich zu oft sozusagen den „falschen“ Content anschaut.
Vorbilder können uns viele Anhaltspunkte und eine gute Orientierung liefern: Wenn wir sehen, dass eine Verhaltensweise von einem anderen Menschen in einem bestimmten Kontext gut ankommt, dann können wir sie einfach übernehmen. Albert Bandura – ein berühmter kanadischer Psychologe und Vorreiter bei der Erforschung des Nachahmungslernens – sprach davon, dass der Mensch sich durch das Modelllernen nutzlose Fehlversuche in Bezug auf das eigene Verhalten erspart.
Wir lernen schon in frühen Jahren von anderen, was gut ankommt und was nicht. Im Kindergarten beobachten wir verschiedene Aspekte des sozialen Verhaltens, zum Beispiel Kinder, die Ärger oder eine Strafe bekommen, weil sie andere mit der Schüppe schlagen, und Kinder, die dafür belohnt werden, wenn sie jemandem helfen. Wir sehen also schon in frühen Jahren, wie die soziale Vernetzung gelingen kann, und schauen uns dabei an, wie es andere machen. Dann reproduzieren wir das Gelernte und integrieren es, wenn wir merken, dass die Handlung zum Ziel führt, in unser Handlungsrepertoire. Die Personen, an denen wir uns orientieren, sind für uns sogenannte Modelle, die über mehr Erfahrung verfügen, meistens gesellschaftlich in irgendeiner Form anerkannt sind und vor allem bestimmte Verhaltensweisen subjektiv gesehen besser ausführen.
„Das Modelllernen wird auch im Studium erst effektiv und damit erfolgreich, wenn man sich bewusst macht, dass eine Adaption nicht eins zu eins erfolgen kann. Denn jede Verhaltensaneignung muss auch Raum für die individuelle Entfaltung haben.“
– Kim Mysliwczyk ist stellvertretende Leitung der wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen sowie Dozentin für Psychologie (B.Sc.) und Wirtschaftspsychologie (B.Sc.) an der Hochschule Fresenius in Düsseldorf. Im vergangenen Jahr beschäftigte sie sich unter anderem in ihrem Aufsatz Modelllernen 2.0, der in der Zeitschrift Kontext 2020/21 erschien, mit dem Thema Vorbilder.
Zunächst ist es wichtig zu betonen, dass ein Modell nicht zwingend eine reale, uns persönlich bekannte Person sein muss. Modelle können zum Beispiel auch Schauspieler:innen oder Figuren aus Romanen sein. In unseren Lebensphasen entwickeln wir uns ständig weiter und verfolgen bestimmte Werte sowie unterschiedliche Ziele. Der eigene Fokus wird in regelmäßigen Abständen neu ausgerichtet. Dabei können wir ganz verschiedene Vorbilder und Gegenvorbilder haben. Das hilft uns letztendlich, uns darüber bewusst zu werden, was wir möchten, welche Ziele wir haben und was für uns nicht infrage kommt.
Säuglingen dienen zunächst die eigenen Eltern als Vorbild. Als Kleinkind orientieren wir uns häufig an Erwachsenen und Gleichaltrigen aus unserem direkten sozialen Umfeld. In der Schulzeit sind Peer-Groups – also die jeweilige Bezugsgruppe an Gleichaltrigen – und Erwachsene geeignete Vorbilder, wobei in der Pubertät die Orientierung an Gleichaltrigen und an Vorbildern aus den Medien deutlich zunimmt. In der Teenie-Zeit, in der die sozialen Medien präsenter werden, können die Modelle, an denen wir uns orientieren, häufig im Bereich der Influencer:innen ausfindig gemacht werden. Das kann aber nicht generalisiert werden und ist letztendlich von den persönlichen Einstellungen, Zielen und Erwartungen abhängig. Wenn es dann auf das Studium und den Beruf zugeht, verschieben sich die Vorbilder meist, weil sich der Fokus und die Priorisierung verändern. Hier können nun Kolleg:innen und Vorgesetzte oder auch Figuren aus Serien und Büchern zu den Vorbildern gehören. Zugleich bietet die Peer-Group in allen Lebensphasen Orientierung.
Vorbilder liefern Orientierung und bieten Struktur, das kann auch im Studium unterstützen. Durch die Erfahrungswerte von Vorbildern kann man eigene Schwachstellen ausgleichen und es entsteht ein positiver Lerneffekt. Welches Vorbild man dabei wählt, hängt nicht zuletzt von den eigenen Zielen ab.
Eine gute Orientierung können Studierende der höheren Semester liefern, weil sie bereits über Erfahrungswissen verfügen. Aber auch Kommiliton:innen aus dem eigenen Semester können gute Vorbilder sein, wenn sie sich zum Beispiel bei Projektarbeiten besonders federführend in der Organisation zeigen oder die Ergebnisse der Lerngruppe positiv vorantreiben und andere zum Mitmachen motivieren. Eine Orientierung an solchen Kommiliton:innen kann dazu führen, dass man selbst besser und leichter studiert. Aber: Das Modelllernen wird auch im Studium erst effektiv und damit erfolgreich, wenn man sich bewusst macht, dass eine Adaption nicht eins zu eins erfolgen kann. Denn jede Verhaltensaneignung muss auch Raum für die individuelle Entfaltung haben.
Modelllernen ist eine gute Möglichkeit, um sich Verhaltensweisen anzueignen, die für das eigene Weiterkommen, die sogenannte Selbstoptimierung, hilfreich sind. Man sollte aber beachten, dass jede Person ein eigenes Lern- und Entwicklungstempo hat. Der Vergleich mit anderen, auch in Bezug auf erbrachte Leistungen, ist also nicht der zielführendste Weg, allein schon, weil Studieren auch bedeutet, sich auszuprobieren und das eigene Wachstum voranzutreiben. Dazu gehört beispielsweise, dass man sich realistische Ziele setzt. Denn die Motivation wird eher erhöht, wenn man statt einem großen viele kleine Ziele erreicht.
Grundsätzlich sind Inspirationen durch die Gesellschaft aber hilfreich, beispielsweise können im Rahmen der Mentoring-Programme an der Hochschule Studierende vom Erfahrungswissen der Alumni profitieren. Auch die Orientierung an Kommiliton:innen kann hilfreich sein, um zu beobachten, welche Strategie andere zum Erfolg bringt. Das Wissen um die Einzigartigkeit jeder Person sollte dennoch an keiner Stelle an Bedeutung verlieren.
Du begeisterst dich für Psychologie und Wirtschaftspsychologie?
Du interessierst dich für Themen wie das Modelllernen und willst mehr über das Verhalten von Menschen in ihrer sozialen Umgebung erfahren? Dann informiere dich über die Studiengänge Psychologie (B.Sc.) und Wirtschaftspsychologie (B.Sc.) oder einen der anderen Bachelor- oder Masterstudiengänge im Bereich Psychologie und Wirtschaftspsychologie.
Dieser Beitrag erschien erstmals am 08.04.2022 in diesem Blog.
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