Wortwolke Flop mit verschiedenen weiteren Begriffen wie Crash, Bruchlandung, Schiffbruch erleiden etc.

Scheitern und Ängste: «Wenn man Angst hat zu scheitern, sollte man das Projekt in Häppchen zerlegen»

Ilka Heinze ist Professorin für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Fresenius. Seit ihrem Master lässt sie ein Thema nicht mehr los: das Scheitern. Während ihrer Zeit an der University of Edinburgh in Schottland kam sie immer wieder mit Personen in Kontakt, die mit ihrem Geschäftsmodell gescheitert sind. Häufig wurde ihr dann berichtet: „Ich habe sehr viel daraus gelernt!“

Das ließ sie rätseln: „Ja, was wurde denn daraus gelernt? Wie ist das gelungen?“ Daraus wurde ihre Studienarbeit, die sie auch in ihrer Dissertation weiterverfolgte. Heute interessiert sie besonders, wie Teams und Organisationen mit dem Thema Scheitern umgehen und kulturelle Unterschiede das Scheitern in der Geschäftswelt prägen.

Hallo Frau Heinze – warum Scheitern?

Ich würde vielleicht damit anfangen, dass Begriff des Scheiterns im deutschen Sprachgebrauch ziemlich einmalig ist. In der englischen Sprache wird von failure gesprochen und das kann dann einfach ein Misserfolg oder auch ein dramatisches Ereignis sein, welches dem deutschen Verständnis des Scheiterns entspricht.

Porträt von Ilka Heinze, Professorin für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Fresenius

Und woher kommt der Begriff?

Das ist auch spannend. Wenn in vergangenen Zeiten auf stürmischer See Schiffe auf Klippen aufgelaufen sind, ist Bruchholz entstanden, und so entstand der Begriff des Scheiterns. Eine andere Analogie finden wir im Scheiterhaufen, auch hier endete der Weg im Tod. Die beiden Analogen zeigen sehr gut die Dramatik, die dem Begriff innewohnt. Vorhaben – egal ob im persönlichen oder beruflichen Bereich – nehmen ein schreckliches Ende, es bleibt nur Bruchholz oder Asche zurück.

SIND WIR IM DEUTSCHEN DAHER AUCH VORSICHTIGER?

Der niederländische Forscher Geert Hofstede hat in den 80er Jahren sehr umfassende Studien zum weltweit unterschiedlichen Verhalten von Menschen durchgeführt und auf dieser Basis mittlerweile sechs Dimensionen, anhand derer sich kulturelle Besonderheiten menschlichen Verhaltens beschreiben lassen. Eine dieser Dimensionen beschreibt unseren Umgang mit Unsicherheiten. Hier sind wir Deutschen tatsächlich fast Weltmeister in dem Wunsch, Fehlverhalten oder Risiken möglichst zu vermeiden. Wir haben dank Geert Hofstede also sogar den empirischen Beweis, dass wir Deutschen uns mit Fehlern schwertun, also auch mit einer positiven Fehlerkultur, die für Experimente, Innovationen und Lernen aber so wichtig ist.

Kann man überhaupt glücklich scheitern?

Es gibt seit ein paar Jahren ziemlich viele Bücher, Podcasts und Workshops zum Thema «schöner Scheitern» oder «gescheiter Scheitern», ich gebe zu, daran habe ich mich auch schon beteiligt, da diese Titel den Einstieg in das Thema niedrigschwellig ermöglichen. Etwas anderes ist das Format der Fuck-Up-Veranstaltungen, hier wird das Scheitern häufig zum Kult erhoben. Meine Forschung hat gezeigt, dass es einen bestimmten Typus Mensch gibt, dem solche Formate helfen, die persönliche Erfahrung des Scheiterns für sich positiv zu verarbeiten, weil sie einfach die Bühne lieben und so Aufmerksamkeit erhalten. Das ist aber nicht für alle so, wie meine Forschung gezeigt hat. Beim Umgang mit unternehmensbezogenem Scheitern sollten wir nämlich zunächst vier verschiedene Typen unterscheiden.

Die vier unterschiedlichen Typen:

Durch die empirische Forschung (vgl. Heinze, I. (2019). Social Aspects of Entrepreneurial Failure.) konnte eine Typologie zum Lernen aus Scheitern ermittelt werden. Die vier Grundtypen lasse sich wie folgt beschreiben:

Sie haben Ihre Forschung auch auf andere Länder ausgeweitet. Kann man hier Unterschiede ausmachen?

Im vergangenen Jahr habe ich mit mehreren Kolleginnen und Kollegen meine Studie nochmals repliziert, und zwar mit Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Deutschland, Indien und Schweden. Für jedes der drei Länder haben wir wieder vier Typen gefunden, für Deutschland mit demselben Grundmuster wie in meiner ersten Studie. Spannend ist nun, dass nur einer der Typen über alle drei Länder vergleichbare Merkmale aufweist, die anderen drei Typen lassen sich eher in kulturellen Clustern erklären. So sind sich z. B. die drei verbleibenden indischen Typen insgesamt ähnlicher, und für Deutschland und Schweden hat sich sogar ein großes Ländercluster ergeben.

Kurz gesagt spielen also kulturelle Unterschiede oft eine größere Rolle beim Umgang mit dem Scheitern als individuelle Unterschiede. Nehmen wir einmal das Beispiel unserer schwedischen Gruppe: Hier ist ein selbstbewusster, resilienter Umgang mit Scheitern stärker vertreten. Bei der indischen Gruppe haben wir hingegen festgestellt, dass einerseits die Spiritualität eine wichtige Rolle spielt, andererseits aber auch stark westlich geprägte Verhaltensweisen zum Ausdruck gebracht werden, so nach dem Motto: Scheitern gehört dazu und kann auch wichtig für zukünftigen Erfolg sein. Zusammengefasst kann man also sagen, dass sowohl persönliche als auch kulturelle Faktoren bestimmen, wie wir mit den Erfahrungen des Scheiterns umgehen.

Was kann man für sich persönlich aus dem Scheitern lernen?

Schau genau hin! Viele Menschen reflektieren nicht genug, sei es, weil es (noch) zu weh tut, sei es, weil es schnell weitergehen soll, neues Spiel, neues Glück. Oder ein naheliegender Grund ist gefunden – gerade kann das z. B. die Veränderung in nahezu allen Lebensbereichen durch COVID-19, durch die Auswirkungen des Klimawandels, oder durch die kriegerischen Auseinandersetzungen direkt vor unserer Haustür sein. Meist sind die Gründe jedoch vielschichtig und es lohnt sich, genau hinzuschauen, um herauszufinden, welchen Nutzen so eine Krise auch haben kann und wie wir uns auf die Zukunft vorbereiten können.

Die Angst vorm Scheitern kann auch blockieren. Manche fangen dadurch erst gar nicht an. Sollte man sich dieser Angst stellen?

Auf jeden Fall, jedoch braucht es dazu das richtige Umfeld an. Deshalb ist mir das Thema Fehlerkultur auch ein wichtiges Anliegen. Mit einem reflektierenden und wertschätzenden Umfeld gelingt es uns besser, Ängste zu überwinden und auch größere Projekte, bei denen der Ausgang ungewiss ist, zu starten.

 Was sollte man vermeiden?

Da denke ich jetzt mal in zwei Richtungen: zum einen natürlich, sich von der Angst blockieren zu lassen und immer in der eigenen Komfortzone zu bleiben. Zumindest langfristig führt das zu Frustration und es wird uns immer schwerer fallen, mit Veränderungen positiv umzugehen. Zum anderen sollte man aber die Angst auch nicht ignorieren oder überspielen. Das sind wichtige Emotionen, die wir ergründen und managen müssen.

Was ist, wenn man beispielsweise ein Studium anfangen möchte, sich aber nicht traut, weil die Angst vorm Scheitern zu groß ist?

Ich bin immer ein großer Anhänger, die Komplexität zu reduzieren, also etwas Großes in kleinere Teile zu zerlegen. Bei einem Studium kann man das zum Beispiel machen, indem man sich zunächst erst einmal in einem Zertifikatskurs einschreibt. Dann sieht man sehr schnell: wie viel Zeit kostet mich das, was kommen für Anforderungen auf mich zu, wie kann ich das mit meinen anderen Lebensbereichen vereinbaren. Wenn es eher um die Angst vor dem Nichtbestehen eines Moduls geht, kann ich mir auch überlegen, was denn die Konsequenzen des Scheiterns sind. Oftmals verändert sich dann die Perspektive und die Angst wird auf ein erträgliches Maß an Anspannung reduziert.

 Was macht Scheitern mit Menschen?

Das ist individuell sehr unterschiedlich. Auch innerhalb meiner vier Scheiter-Lern-Typen habe ich viele unterschiedliche Bewältigungsstrategien entdecken können. Manche Menschen werden resilienter, andere werden rücksichtsloser und zum Kämpfer, weil sie z. B. das Gefühl haben, jetzt kommt eine zweite Chance und die will ich jetzt nutzen! Wieder andere geben auf, verfallen vielleicht sogar in Depressionen. Einige meiner Studienteilnehmerinnen und Teilnehmer haben mir gesagt, dass sie nach der Scheiternserfahrung therapeutische Hilfe in Anspruch genommen haben.

Was fasziniert Sie selbst am Scheitern?

Wahrscheinlich meine eigene Angst vor dem Scheitern. Ja, es ist tatsächlich so! Ich bin selbst in einem wenig wertschätzenden und sehr leistungsorientierten Umfeld aufgewachsen. Man musste alles richtig machen, Fehler waren verpönt. Und so habe ich mir immer erst meine Erfolgschancen ausgerechnet, bevor ich etwas Neues angefangen habe. Nur wenn die gut waren, habe ich das Projekt begonnen. Durch die Beschäftigung mit dieser Angst bin ich heute viel kreativer und risikofreudiger geworden und unternehme Dinge, deren Ausgang unbestimmt ist. Ich bereite mich immer noch gut vor und habe einen hohen Anspruch, möchte Erfolg haben, aber die Angst vor einem Misserfolg konnte ich besiegen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Vorstellung an der 3E 2023

Mitte Mai konnte Prof. Dr. Ilka Heinze an der 3E-Konferenz in Aarhus, Dänemark, das Thema „Risky Stories – Application of Storytelling in Risk Management“ mit ihren Kollegen Prof. Dr. Jens Hirt und Prof. Dr. Thomas Henschel vorstellen. Das Ziel der diesjährigen 3E-Konferenz (Rethinking Entrepreneurship Education, Training and Policy: The questions we care about) war es, Entrepreneurship mit Bildung und Pädagogik zu verknüpfen.