Eine Person sitzt vor einem Laptop und tippt etwas ein, während es mit Kopfhörern etwas hört. Im Hintergrund ist eine größere Bibliothek zu sehen.

Wie lernt(e) man richtig?

Wie lernt(e) man richtig?

Lernen gestern. Lernen heute. Lernen in der Zukunft.

Ob am Laptop, mit Apps oder durch die Recherche im Internet – wir lernen heute ganz anders, als es noch unsere Eltern getan haben. Diese wiederum lernten anders als unsere Großeltern. Und unsere Großeltern lernten noch einmal ganz anders als die Schüler:innen von Carl Remigius Fresenius, der 1848 mit seinem chemischen Laboratorium den Grundstein für die heutige Hochschule Fresenius legte.

Dieses Jahr feiern wir 175 Jahre Bildung im Namen Fresenius. Aus diesem Grund sprachen wir mit Prof. Dr. Stephanie Heinecke, unter anderem Studiendekanin im Studiengang Psychologie & Digitale Transformation (M.Sc.) sowie Dozentin im Studiengang Medienmanagement und Digitales Marketing (B.A.) an der Hochschule Fresenius in München. Dabei thematisierten wir die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Lernens und diskutierten sowohl die Möglichkeiten der digitalen Lehre als auch den Wert der Präsenzlehre. Zudem findest du hier eine kleine Lern-Charakteristik, die dir herauszufinden hilft, wie du für dich richtig lernen kannst.

Vor knapp 175 Jahren sahen das Lernen und Lehren noch etwas anders aus. Was sind in Ihren Augen die wichtigsten Dinge, die sich seitdem verändert haben?

Ich könnte hier einige aktuelle Megatrends wie die Globalisierung, Digitalisierung oder allgemein den gesellschaftlichen Wandel nennen. Aber wenn wir wirklich 175 Jahre zurückgehen, rücken ganz andere Fragen in den Mittelpunkt, wie zum Beispiel: Wer hatte damals überhaupt Zugang zu Bildung? Um 1848 hatte bei weitem nicht jede Person die Möglichkeit, eine höhere Schule zu besuchen oder sogar zu studieren. Viele konnten nicht einmal lesen und schreiben. Und gerade für Frauen war es alles andere als leicht, eine Chance auf höhere Bildung zu erlangen.

Eine weitere Frage ist: Wie sah damals das Verhältnis von Lehrenden und Lernenden aus? Wir müssen dabei nicht einmal in das Jahr 1848 zurückgehen. Es reichen schon ein paar Jahrzehnte, um zu merken, dass der Umgang heute viel mehr auf Augenhöhe und im Dialog stattfindet als früher. Dozierende befinden sich nicht mehr in einem quasi unantastbaren Bereich, sondern sind für die Studierenden eher Coaches oder Sparringspartner:innen. Und die dritte Frage: Wie differenziert und spezialisiert sind Studiengänge, damit sie die Bedarfe unserer Gesellschaft decken können? Diese Frage kann man ganz einfach mit Zahlen beantworten. Laut StudyCheck gibt es derzeit mehr als 20.000 Studiengänge an mehr als 500 Hochschulen. Das war 1848 natürlich ganz und gar nicht so.

Warum ist die Spezialisierung der Studiengänge wichtig?

Die Spezialisierung des Studienangebots dient letztendlich dazu, den Bedarf der Gesellschaft an qualifizierten Fach- und Führungskräften zu decken. Je differenzierter und spezialisierter dieser aber wird, desto stärker wirkt sich dies auch auf die Entwicklung neuer Studiengänge aus. Übrigens hatte auch Carl Remigius Fresenius einen solchen Bedarf erkannt, als er 1848 damit anfing, Menschen auszubilden.

Auf der anderen Seite leben wir aber heute in einer Welt, in der mit einem Knopfdruck mehr Wissen verfügbar ist, als unsere Gehirne jemals speichern könnten. In dieser Welt hat es nur noch wenig Sinn, einfach viele spezialisierte Dinge auswendig zu lernen. Das Studienangebot muss also zwar weiterhin den aktuellen und durchaus spezifischen Entwicklungen entsprechen. Der Fokus muss aber stärker auf das große Ganze, auf Interdisziplinarität und Transdisziplinarität, gelegt werden. Denn wir müssen auch über den Tellerrand schauen können und unsere Wissensbestände strategisch, intelligent und auch menschlich zusammenführen.

Eine weitere wichtige Veränderung ist die Verschiebung von einem Lernen, das vor allem als Aufnahme von festem Wissen verstanden wird, zu einem Lernen durch Erkunden, Ausprobieren und auch Fehler machen. Was bedeutet das für die Art, wie wir lernen? Und auf welche Weise lernen wir am besten?

Wenn man das Ziel hat, dass Studierende bestimmte Dinge einfach nur kennen, ist man bei der Reproduktion von Wissen, das vor allem in Klausuren abgefragt werden kann, richtig. Hier befinden wir uns auf der untersten Ebene der sogenannten Taxonomie kognitiver Lernziele nach Bloom. Man könnte auch sagen: Es ist oft klassisches Auswendiglernen, das für die heutige Welt aber nicht allein zielführend sein kann. Wenn man dagegen zum Beispiel projektbasiert arbeitet, entwickeln die Studierenden neue Gedanken und kreieren Dinge. Dabei kommen Fehler in einem deutlich größeren Umfang vor und es ist wichtig, dass sie auch passieren dürfen und man wiederum aus ihnen lernt. Beim projektbasierten Lernen ist auch die Rolle der Dozierenden eine andere. Denn sie sind dann nicht nur die Menschen, die anderen etwas beibringen, sondern auch Coaches, die die Studierenden dabei unterstützen, etwas selbst zu erreichen.

Damit möchte ich aber nicht sagen, dass man nun sofort alle Klausuren abschaffen sollte. Vielmehr brauchen wir auch ein bestimmtes festes Wissen, auf dem wir aufbauen können. Es kommt darauf an, dass wir einen guten Mix finden, in dem Studierende notwendiges Wissen erwerben und sich gleichzeitig Kompetenzen aneignen, um später selbstständig mit Herausforderungen umgehen zu können und eigenständig Lösungen für Probleme zu finden. Es geht also um einen Mix, mit dem sie auf dem Arbeitsmarkt von heute und auch dem der Zukunft erfolgreich sein können.

Kleine Lern-Charakteristik – wie kannst du für dich richtig lernen?

Arbeitest du gerne mit Karteikarten oder lernst du besser, wenn du die Sachen anderen erklärst? Schreibst du deine Hausarbeiten lieber zu Hause, im Café oder in einer Bibliothek? Es gibt nicht den einen Weg, wie optimal lernen funktioniert. Vielmehr hängt es ganz von dir selbst und deinen Vorlieben ab, wie du persönlich richtig lernen kannst. Diese kleine Lern-Charakteristik hilft dir herauszufinden, welche das sind:

Der visuelle Lerntyp lernt am besten mit den Augen, der auditive mit den Ohren. Vielleicht bist du aber auch ein kommunikativer Lerntyp, der am besten im Gespräch lernt, oder der haptische Lerntyp, der am besten mit dem Tastsinn lernt, zum Beispiel, wenn er Dinge selbst machen kann.

„Vielen Studierenden hilft es, Zusammenfassungen von Skripten zu schreiben. Visuelle Lerntypen bevorzugen dabei aber vielleicht ein Schaubild oder eine Mindmap. Bei auditiven Lerntypen ist es besser, wenn sie die Lerninhalte zum Beispiel einsprechen und sich wie einen Podcast immer wieder anhören“, erklärt Prof. Dr. Stephanie Heinecke. „Zudem kann ich allen Lerntypen empfehlen, in den Austausch zum Stoff zu gehen und sich eventuell eine Lerngruppe zu suchen. Vor allem der kommunikative Lerntyp kann hier sehr gut lernen.“

Manche brauchen beim Lernen viel Ruhe und möchten von anderen nicht gestört werden. Für andere ist eine Lernumgebung mit Dingen, die sie zum Denken anregen, und ein bisschen Abwechslung besser. „Dabei kommt es auch darauf an, was genau ich mache“, ergänzt Prof. Dr. Stephanie Heinecke. „Vielleicht schreibe ich meine Hausarbeiten lieber in der Bibliothek, brauche aber den heimischen Küchentisch, um mich auf eine Klausur vorzubereiten.“

Ist dein Gehirn gleich auf Hochtouren, wenn du morgens aufstehst? Oder brauchst du erst einmal eine Weile und hast dafür am Abend dein Hoch? „Wenn man seinen Lerntag strukturiert, sollte man auch den Biorhythmus nicht vergessen und dann lernen, wenn der Kopf für die Aufnahme neuer Informationen bereit ist“, so Prof. Dr. Stephanie Heinecke.

Für mache Studierenden ist der Druck zum Verzweifeln. Andere blühen unter Druck erst richtig auf. Das ist noch lange kein Grund, um die Fertigstellung der Hausarbeit auf den letzten Tag zu schieben. Es hilft aber, wenn man einordnen kann, wie man tickt: Bedeutet für dich eine knappe Abgabefrist schlaflose Nächte und Leistungen, die ohne den Druck deutlich besser wären? Oder brauchst du Druck, um das Beste aus dir herauszuholen?

Die Digitalisierung bietet auch für das Lernen und Lehren zahlreiche Möglichkeiten, steht aber aufgrund der Coronapandemie in vielen Köpfen nach wie vor hauptsächlich für das Lernen auf Distanz. Wie gut haben digitale Methoden Ihren Erfahrungen nach während Corona funktioniert?

Wenn wir über Corona und die Digitalisierung reden, dürfen wir nicht vergessen: Die digitale Lehre ist nicht gleichzusetzen mit der Lehre über Zoom. Es geht dabei um viel mehr, als einfach eine Unterrichtssituation, die man auf diese Weise auch in einem analogen Raum machen würde, eins zu eins in den digitalen Raum zu übertragen. Es geht auch um neue Unterrichtskonzepte, zum Beispiel Inverted-Classroom-Modelle, oder digitale Zusatzmaterialien, die die Lehre anreichern. Und das ist ganz unabhängig von der Pandemie.

Gleichzeitig hat der sogenannte digitale synchrone Kontakt, also Zoom, die sofortige Weiterführung der Lehre während Corona überhaupt erst möglich gemacht und einige Erfahrungswerte gebracht. Wir haben zum Beispiel gemerkt, dass wir im digitalen Unterricht mehr Pausen machen müssen, weil die Aufmerksamkeitsspannen in Zoom geringer sind. Wir haben auch unsere Unterrichtskonzepte so angepasst, wie es in der knappen Zeit möglich war. Soweit ich es von mir, aber auch von meinen Kolleg:innen an der Hochschule erfahren habe, würde ich sagen, dass wir das im Rahmen unserer Möglichkeiten wirklich gut hingekriegt haben. Wir haben viele individuelle Lösungen gefunden und von Studierenden viel positives Feedback bekommen. Dabei hat sich durch Corona auch eine Sache grundlegend geändert: Früher konnte man sich, je nachdem, wie digitalaffin man ist, auf digitale Methoden einlassen oder einen Bogen um sie machen. Jetzt haben alle, ob digitalaffin oder nicht, das Potenzial der Digitalisierung, aber auch ihre Grenzen erkannt.

Prof. Dr. Stephanie Heinecke

„Corona hat alte Denkmuster auf den Prüfstand gestellt und uns alle gezwungen, über die Möglichkeiten, die wir haben, neu nachzudenken. Denn die digitale Entwicklung ist rasant und wird das Lernen in Zukunft noch viel stärker beeinflussen als heute.“

Prof. Dr. Stephanie Heinecke lehrt unter anderem in den Studiengängen Psychologie & Digitale Transformation (M.Sc.) sowie Medienmanagement und Digitales Marketing (B.A.) an der Hochschule Fresenius in München.

Welche grundlegenden Veränderungen bringt die Digitalisierung für die Art und Weise, wie wir lernen?

Die Digitalisierung und die digitale Lehre sind sehr breite Themen. Theoretisch könnte man die Diskussion mit dem Hochladen von PDFs beginnen und sie bis hin zu VR und AR führen. Ein Aspekt, der mir persönlich wichtig ist und in jeder Situation gilt, ist aber das unfassbare Überangebot an Informationen im digitalen Raum. Mit einem Knopfdruck ist fast alles verfügbar und das unabhängig davon, ob es sich um qualitativ hochwertige Informationen handelt oder nicht. Es gibt also die neue, sehr wichtige Aufgabe zu lernen, wie man mit diesen Informationen umgeht: Wir müssen Studierenden erklären, dass es zum Beispiel bei einer Hausarbeit nicht einfach um die Menge an Quellen geht und auch nicht einfach darum, wie viele Bücher sie zitieren. Vielmehr muss die bestmögliche, belastbare und zielführende Quelle zum Thema der Maßstab sein, ob sie nun in einer Datenbank von Fachzeitschriften, zwischen zwei Buchdeckeln, als eBook oder vielleicht als Studie eines Marktforschungsinstituts online verfügbar ist. Der kritische Umgang mit dem Überangebot an Informationen ist für jede Art von Bildung eine große Herausforderung und erfordert tiefe Medienkompetenzen.

Daneben spielen auch Dinge wie die Veränderung der Aufmerksamkeitsspanne oder das Einbinden von Menschen im digitalen Raum eine wichtige Rolle. Wie das im Einzelfall aussieht, hängt auch davon ab, ob und zu welchen Teilen die Lehre zwischen Präsenz und Online aufgeteilt ist und welchen Anteil das angeleitete Selbststudium hat. Man kann perspektivisch auch an komplett neue Lehrkonzepte, zum Beispiel mit VR, denken, sollte aber nicht dem aktuellen Hype erliegen, sondern zunächst einmal die Machbarkeit und Sinnhaftigkeit hinterfragen. Alle diese Formen haben viele Möglichkeiten und bergen gleichzeitig Gefahren, denen wir beim Lehren und Lernen begegnen müssen.

Was können wir Ihrer Meinung nach in den nächsten Jahren von der Digitalisierung in der Lehre noch erwarten?

Corona hat alte Denkmuster auf den Prüfstand gestellt und uns alle gezwungen, über die Möglichkeiten, die wir haben, neu nachzudenken. Denn die digitale Entwicklung ist rasant und wird das Lernen in Zukunft noch viel stärker beeinflussen als heute. Zum Beispiel ist es technisch schon jetzt möglich, ein Online-Lernsystem mithilfe von künstlicher Intelligenz zu individualisieren. Das System stellt sich dann auf den Wissensstand der jeweiligen Person ein und lernt mit, welche Module sie macht und welche Aufgaben sie löst. Doch spätestens an diese Stelle stellt sich die Frage: Welche Rolle spielen hier noch die Lehrenden, die Menschen? Meiner Meinung nach ist es auch eine wichtige Lektion der Pandemie, dass der Wert der Präsenz und schlicht von Menschen in der Lehre wieder mehr im Fokus stehen sollte. Ich glaube auch, dass es jetzt ein neues Bewusstsein dafür gibt, warum Studierende überhaupt an den Campus kommen, sie auch Präsenz-Lehrveranstaltungen besuchen, im analogen Raum miteinander diskutieren und sich gegenseitig inspirieren.

Deshalb ist es auch alles andere als leicht zu entscheiden, welche digitalen Möglichkeiten tatsächlich umgesetzt werden sollten und wie sehr die Präsenz der digitalen Lehre weichen soll. Das ist ein weiterer zentraler Punkt, den Corona hervorgebracht hat: Jetzt wissen alle genau, was technisch möglich ist, und haben sehr verschiedene Erwartungen, die erfüllt werden möchten. Denn die gesellschaftlichen Bedarfe an qualifizierten Menschen sind jetzt schon sehr unterschiedlich und werden in Zukunft noch differenzierter und spezialisierter. Folglich werden auch die Bildungswege und kompletten Lebenswege der Menschen noch individueller. Das ist eine Stellschraube, an der wir schon heute arbeiten müssen.

Dieser Beitrag erschien erstmals am 15.09.2022 in diesem Blog.