Digital Recruiting Index

Digital Recruiting Index der Dax 30-Unternehmen

Wie gelingt es in Zeiten des Fachkräftemangels, Bewerber mit den passenden Fähigkeiten zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu finden? Die Hochschule Fresenius in Hamburg führt unter der Leitung von Prof. Dr. Yorck von Borcke, Studiendekan Digitales Management (M.A.), eine Untersuchung durch, um herauszufinden, wie moderne Recruiting- und Personalprozesse digital unterstützt werden und Unternehmen sich als attraktive Arbeitgeber positionieren können.

Die Digitalisierung verändert das Umfeld und alle Aspekte der Unternehmen in einer extremen Geschwindigkeit. In immer kürzeren Abständen erscheinen Updates und Upgrades, die neue Produkte, Geschäftsmodelle und -felder begünstigen oder sie wegfallen lassen.

Dabei sind es nicht immer große Veränderungen, die erfolgreiche Unternehmen von denen unterscheiden, die auf der Strecke bleiben. Oft ist es eine Summe kleinerer Aspekte, die dazu führen, dass ein Unternehmen von Konkurrenten überholt und langfristig aus dem Markt verdrängt wird.

Besonders große Unternehmen, die sich ihres Fortbestandes und ihrer Position im Markt sicher sind, können anfällig dafür sein, kleinere Veränderungen und Trends zu verpassen, oder diese schlichtweg zu übersehen.

Im Rahmen einer Case Study im Masterstudiengang Digitales Management (M.A.) unter der Leitung von Prof. Dr. Yorck von Borcke wurde auf diese Aspekte im Bereich des Digital Recruiting-Prozesses der Dax 30-Unternehmen eingegangen und ein Digital Recruiting Index (DRX) entwickelt.

DIGITAL TALENTS

Digital Talents zeichnen sich durch Agilität, Geschwindigkeit, strukturübergreifendes Denken sowie technische Kompetenz aus. Sie denken unternehmensübergreifend, wozu eine projektorientierte interdisziplinäre Teamarbeit benötigt wird. Sie müssen stets flexibel sein, um sich auf Veränderungen einzustellen.

Um solch anspruchsvolle Talente zu binden, müssen Unternehmen sich als attraktive und aufgeschlossene Arbeitnehmer darstellen. Variable Arbeitszeiten, Möglichkeiten zur Entwicklung und Benefits stellen unter anderem einige Aspekte dar, durch die sich digitale Talente ansprechen lassen. Eine Möglichkeit, diese Zielgruppe explizit anzuwerben, ist das digitales Recruiting.

Das digitale Recruiting beschreibt die Personalbeschaffung durch elektronische Prozesse. Der digitale Recruitingprozess umfasst dabei alle relevanten Phasen der Personalbeschaffung.

Ein Bewerber bedient sich während der Jobrecherche verschiedenster Instrumente, um sich einen Überblick zu verschaffen. Informationen müssen schnell, einfach und filterbar abrufbar sein. Gesucht werden diese Angaben über Touchpoints wie Karrierenetzwerke, über Bewertungsprotale wie Kununu und durch digitale Stellenbörsen wie Stepstone. Innerhalb eines digitalen Bewerbungsprozesses, speziell der Einreichung der Bewerbung, ist es ebenfalls möglich, sich mehrerer Tools zu bedienen.

EMPLOYER BRANDING

Die Entwicklung einer attraktiven Arbeitgebermarke und die Ausgestaltung eines umfangreichen Informationsangebots ist aus Unternehmenssicht notwendig, um das Interesse eines Bewerbers zu gewinnen. Hier spielt der Aspekt des Employer Brandings eine wichtige Rolle, der die strategischen Maßnahmen zur optimalen Darstellung des Unternehmens als Arbeitgeber und Positionierung im Arbeitgeberwettbewerb umfasst.

Die Arbeitgebermarke lässt sich über verschiedenste Wege nach außen abbilden und kommunizieren. Eine eigene, gut aufbereitete Website erzählt eine Geschichte und macht den Websitebesuchern deutlich, wofür das Unternehmen mit welchen Werten steht. Mit Suchmaschinenoptimierung und -werbung oder Social Media Marketing lassen sich Informationen über das Unternehmen sowie Artikel und Stories in der Googlesuche und auf anderen Plattformen platzieren. Podcasts und gezielte Informationsstreuung über Affiliate-Portale und Netzwerke wie Xing oder LinkedIn sind weitere Hilfsmittel, die dem Employer Branding helfen.

WIE KOMMEN UNTERNEHMEN HEUTE AN DIGITAL TALENTS?

Unternehmen müssen sich auf verschiedenen Oberflächen präsentieren, damit geeignete Bewerber Informationen zum Unternehmen und den ausgeschriebenen Stellen finden. Karrierenetzwerke wie LinkedIn, eine userfreundliche Karrierewebsite und die Platzierung in den Ergebnissen von Suchmaschinen haben einen Einfluss auf die aktive und passive Beschaffung von Bewerbungen. Ebenso haben Personaler über Karrierenetzwerke die Möglichkeit, selbstständig potentielle Bewerber zu kontaktieren. Um die Einreichung der Bewerbungsunterlagen möglichst simpel zu gestalten, lassen sich digitale Tools zur Unterstützung für die Bewerber integrieren, wie beispielsweise Chatbots und FAQs. Automatisierte Bewerbungsformulare ersetzen abschreckende Anschreiben und vereinfachen den Bewerbungsprozess.

Auch während des Auswahlverfahrens kann das Unternehmen auf Tools zurückgreifen, um Zeit und Kosten zu sparen. Vorstellungsgespräche lassen sich ohne Zeitverlust digital über Programme wie Zoom, Teams und Skype durchführen und für digitale eignungsdiagnostische Verfahren wie Erhebungen zu Verhaltenstendenzen lassen sich über das Bewerberprofil auf der Karrierewebsite nutzen. So müssen weder Personaler noch Bewerber zeitgleich am selben Ort sein.

DAS ANALYSEVERFAHREN FÜR DEN DIGITAL RECRUITING INDEX

Die Dax 30-Unternehmen (Stand August 2020) wurden kriterienbasiert anhand von sechs Analysefeldern bewertet, welche wiederum drei bis fünf Fragen mit Unterfragen enthalten. Sowohl die Analysefelder als auch ihre Fragen wurden unterschiedlich gewichtet. Diese Gewichtung beruht auf der Priorität der Masterstudierenden für die einzelnen Faktoren, welche für sie als Digitale Talente besonders relevant sind.

ES GIBT NACHHOLBEDARF BEI DEN DAX 30-UNTERNEHMEN

Die Analyse des Digital Recruitings bei den Dax 30-Unternehmen hat gravierende Mängel aufgezeigt. Diese sind unabhängig von der Branche und des Alters der Unternehmen aufgetreten.

Insbesondere die mangelhafte Pflege der Darstellung auf den gängigsten Bewerbungs- und Bewertungsplattformen war auffällig. Des Weiteren war die aktive Nutzung der vorhandenen Social Media-Plattformen ausbaufähig. Hier besteht erhebliches Potenzial um Digital Talents für die jeweiligen Unternehmen zu begeistern. Außerdem fiel auf, dass Ansprechpartner für potentielle Bewerber auf den ersten Blick schwer ersichtlich waren.

In Zeiten der Digitalisierung bieten sich hier Chancen, die aufgeführten Mängel durch den Einsatz neuer Technologie und einer übergeordneten Strategie anzugehen.

GESAMTRANKING

Wie in der Gesamt-Scorecard zu erkennen ist, kann sich die Deutsche Telekom als absoluter Spitzenreiter beim Digital Recruiting aufstellen. Vor allem die Karrierewebsite, die Präsenz in den Online-Stellenbörsen und Suchmaschinen sowie die Social-Media-Aktivitäten des Telekommunikationsunternehmens sind hervorzuheben. Sollte der Konzern zukünftig das Recruiting auf Online-Jobmessen ausweiten, könnte er fast die maximale Punktzahl der Analyse erreichen.

Neben der Telekom schneiden auch die Allianz und Henkel sehr gut ab. Mit voller Punktzahl in den Bereichen der Online-Jobmessen und Online-Stellenbörsen könnte die Allianz ihr Potenzial bei der Karrierewebsite und den Bewertungsplattformen noch weiter ausschöpfen, um zur Telekom aufzuschließen. Henkel hingegen zeichnet die Karrierewebsite und das Auftreten in den Suchmaschinen mit fast voller Punktzahl aus. In Zukunft sollte Henkel bei Online-Jobmessen Präsenz zeigen sowie die Aktivitäten auf Social Media-Kanälen und bei Onlinestellenbörsen ausbauen, um ebenfalls mit der Telekom gleichzuziehen.

Besonders schlecht schneidet der Immobilienkonzern Vonovia beim Digital Recruiting ab. Einzig die Präsenz in den analysierten Suchmaschinen kann als positiv angesehen werden, sämtliche andere Bereiche, vor allem die Online-Stellenbörsen, Bewertungsplattformen und Social Media, konnten nicht überzeugen und sind teilweise weit hinter den Standards der restlichen DAX 30-Unternehmen. Neben Vonovia hatten Wirecard und die Linde-Gruppe das noch größte Potenzial beim Digital Recruiting.

Die Linde-Gruppe zeigt zwar eine gute Präsenz bei Online-Stellenbörsen, aber bei den restlichen Analysefeldern bleibt sie deutlich unter den Standards der anderen DAX 30 und hat von allen Unternehmen die Karrierewebsite mit den meisten Defiziten.

ZUKUNFT DER DIGITALISIERUNG IM RECRUITING

Die Analyse der DAX 30-Unternehmen verdeutlicht, dass die meisten der größten, deutschen börsennotierten Unternehmen gegenüber der Digitalisierung im Recruitingprozess nicht gut aufgestellt sind, sie erfüllen nicht einmal die Standards der heutigen Zeit.

Abgesehen von den gegenwärtigen Recruitingmaßnahmen wie Suchmaschinenmarketing, Videointerviews, One-Click-Bewerbungen oder Online-Stellenanzeigen wird die Digitalisierung der Zukunft sich weitreichender mit dem Begriff der künstlichen Intelligenz beschäftigen. Chat-Bots werden zunehmend relevanter, qualitativ hochwertiger und werden demnach auch in der Mitarbeiterbeschaffung Einsatz finden.

Richtig angewendet kann das Thema Digitalisierung für das Recruiting-Geschäft in den Unternehmen zukünftig tiefgreifende Potenziale aufdecken. Gewachsene Strukturen der Arbeitsweise oder Organisation von Unternehmen müssen umfangreich modernisiert und angepasst werden, damit Chancen der Digitalisierung auch gänzlich ausgeschöpft werden.

„Die Digitalisierung beeinflusst sämtliche Bereiche einer Unternehmung und somit auch das Recruiting. Prozesse und Werkzeuge müssen stetig angepasst und weiterentwickelt werden, wenn man Digitale Talente erreichen will. Unsere Studie zeigt, dass bei etlichen Dax 30-Unternehmen hier noch erhebliches Verbesserungspotenzial besteht. Mit dem Digital Recruiting Index (DRX) begleiten wir diesen Prozess wissenschaftlich und realisieren zusammen mit Projektpartnern einen Theorie-Praxis-Transfer.“

Prof. Dr. Yorck von Borcke, Studiendekan Digitales Management (M.A.)