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„Die Belastung ist hoch“ – Lernen und Arbeiten im Studium

16.07.2020

Interview von Juliane Mischer

Lernen und Studium

Studieren in Deutschland heißt heute für viele: Lernen und Arbeiten. Nur etwas mehr als ein Viertel der Studierenden konzentriert sich Vollzeit auf das Studium. Vier von Zehn jobben, 26 Prozent sind in Teilzeit angestellt. Das zeigt eine Befragung von rund 2.000 Studierenden, die die Hochschule Fresenius in Zusammenarbeit mit statista durchgeführt hat. Wir haben mit Prof. Dr. habil. Peter J. Weber, Dekan des Fachbereiches onlineplus der Hochschule Fresenius, über die Ergebnisse der Befragung gesprochen.

HERR PROF. WEBER, OBWOHL VIELE STUDIERENDE BERUFSTÄTIG SIND, CARE-ARBEIT LEISTEN ODER EIN EHRENAMT HABEN, NIMMT DAS STUDIUM DEN GROSSTEIL IHRER ZEIT IN ANSPRUCH. GUT EIN DRITTEL DER BEFRAGTEN STUDIERENDEN WENDET SOGAR MEHR ALS 30 STUNDEN PRO WOCHE FÜR DAS STUDIUM AUF. BEDEUTET DAS NICHT, DASS SIE SICH KEINEM LEBENSBEREICH AUSREICHEND WIDMEN KÖNNEN

Rechnet man die Studien- und Arbeitszeit zusammen, kommt fast jeder Studierende auf weit mehr als 50 Stunden pro Woche. Das ist natürlich enorm! In unserer Befragung geben viele Studierende an, dass manche Lebensbereiche für sie zu kurz kommen: So würden 42 Prozent der Befragten gerne mehr Zeit für ihr Studium aufwenden. 19 Prozent wünschen sich mehr Stunden oder Tage für Beruf und Karriere. 32 Prozent hätten gerne mehr Zeit für die Familie. Dies zeigt zugleich, dass wir in der heutigen Gesellschaft und Arbeitswelt nicht ohne gute Prioriätensetzungen auskommen, ansonsten kann sich sehr schnell ein Gefühl der Unzufriedenheit einstellen. Nur mit dem bewussten Prioritätensetzen ist es möglich, einen bei der Fülle von Angeboten und Aufgaben durch Zeitknappheit wahrgenommenen Verzicht nicht als negatives Erlebnis wahrzunehmen.

VIELE STUDIERENDE BERICHTEN VON PRÜFUNGSANGST – JEDER FÜNFTE LEIDET SOGAR PERMANENT DARUNTER – ODER VON SCHWIERIGKEITEN BEI DER ANFERTIGUNG VON HAUSARBEITEN. WAS KÖNNEN HOCHSCHULEN LEISTEN, UM IHRE STUDIERENDEN IN DIESEM BEREICH ZU UNTERSTÜTZEN? WAS WÜNSCHEN SICH STUDIERENDE?

Der Begriff „Angst“ hat viele Facetten und Abstufungen, da es sich um eine außergewöhnliche Situation handelt, in der man auf den Punkt oder zum Beispiel bei schriftlichen Hausarbeiten über eine längere Zeit eine hohe Leistung bei sich abfragen muss – und dies zunächst ohne direktes Feedback, dass man das „Richtige“ macht. Das machen Auskünfte zu Prüfungsangst und anderen Schwierigkeiten im Studium deutlich. Auch in der Familie, Partnerschaft oder im Job belastet Stress, allerdings erkennbar weniger als im Studium. Von den etwa 23 Prozent der von uns Befragten, die sich mehr Unterstützung wünschen, um den Belastungen des Studiums gerecht zu werden, sehen daher viele auch ihre Hochschule in der Pflicht, mit entsprechenden Lehr-Lern-Angeboten zu reagieren. Hier hat uns die Digitalisierung viele „Werkzeuge“ an die Hand gegeben, um Lerner individueller und zeitunabhängiger anzusprechen, so dass zum Beispiel weniger Präsenzen notwendig sind und diese in einem intelligenten Mix mit Onlineelementen sogar aufgewertet werden.

Die Befragungsergebnisse zeigen auch, wie wichtig Studierenden Autonomie – und damit Selbststeuerung und Selbstorganisation – beim Lernen ist. Dies ist ein sehr wichtiges Ergebnis, da aus den im Studium vermittelten Informationen durch die individuelle Bewertung des Lerners erst Wissen aufgebaut wird – dies ist unter anderen der Kern unserer Wissensgesellschaft und der Unterschied zur reinen Informationsgesellschaft. Folgerichtig müssen heute Lehr-Lern-Kontexte individuell und flexibel sein. Mit anderen Worten: Das Studium muss sich heute viel mehr als früher den individuellen Arbeits- und Lebensbedingungen der Studierenden anpassen und flexibel gestalten lassen. Diesen Erwartungen muss eine Hochschule heute gerecht werden. Sie muss sich an ihrer Beratung und ihren Services für Lernen, Karriere und Leben messen lassen, um die Studierenden zu unterstützen und ihnen zu helfen, die Belastungen zu meistern. Und wie oben schon gesagt, ist dies am besten in sogenannten Mixed-Mode-Szenarien möglich.

WAS SIND IHRE TIPPS FÜR STUDIERENDE, DIE ARBEITEN ODER IN DER FAMILIE EINGESPANNT SIND? WIE KÖNNEN SIE FÜR EINE OPTIMALE STUDY-WORK-LIFE-BALANCE SORGEN?

Zunächst darf ich mit dem Mythos aufräumen, dass diese Mehrfachbelastung durch Zeitmanagement usw. komplett abzufedern wäre. Denn: Lernen oder ein Studium benötigen auch eine „besondere“ Zeit, sich mit Dingen intensiv auseinanderzusetzen. Bei einem bestehenden Zeitkontingent bedeutet dies, dass bei anderen Dingen Abstriche gemacht werden müssen. Dies ist aber meines Erachtens gut handelbar, da ein Studium eine begrenzte und klar umrissene Dauer hat. Daher ist immer mein erster Tipp, die Entscheidung für ein Studium mit der Lebenspartnerin, dem Lebenspartner oder der Familie zu treffen, denn am Ende muss das gesamte Umfeld dies tragen – und dann können sich zum Beispiel auch alle freuen, wenn man Erfolg beim Lernen hat. Damit verbunden ist der zweite Tipp: Studien zeigen, dass Lernen – verkürzt formuliert – auch Spaß machen muss. So sollte unbedingt darauf geachtet werden, dass das Studium nicht als Belastung trotz der restringenten Zeitvorgaben wahrgenommen wird. Erst dann kommt mein dritter Tipp, den alle kennen: Es gilt ein gutes Zeit- und Selbstmanagement zu entwickeln und, wie oben gesagt, Prioritäten zu setzen, sich realistische Arbeitspläne zu machen sowie Zeit für Pausen, Entspannung und Belohnungen einzuplanen. Und zu guter Letzt gilt es, für sich und sein Umfeld kleine Erfolgserlebnisse zu schaffen und diese dann auch gemeinsam zu begehen. Gerade auf der „Werkzeugebene“ der letzten beiden Tipps können Hochschulen sehr gut durch die tutorielle Begleitung, gemeinsamen Erstellung von Studienplänen usw. unterstützen.