RUFBEREITSCHAFT KANN ARBEITSZEIT SEIN

Ist die Zeit eines Feuerwehrmannes, der zu Hause auf einen Einsatz wartet und bei Alarmierung binnen kurzer Zeit vor Ort sein muss, Arbeitszeit? Der Europäische Gerichtshof entschied heute über den Fall eines deutschen Feuerwehrmanns, der diese Zeiten der Rufbereitschaft als Arbeitszeit verstanden haben wollte. Arbeitsrechtler Prof. Dr. Michael Fuhlrott, Professor an der Hochschule Fresenius in Hamburg, gibt dazu eine Einschätzung.

Köln/Hamburg. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) beschäftigte sich heute mit dem Fall eines verbeamteten Feuerwehrmannes aus Offenbach. Dieser hatte neben seinen regulären Diensten regelmäßig Rufbereitschaft zu leisten. Dabei musste er ständig verfügbar sein, seine Einsatzkleidung mit sich führen und das ihm zur Verfügung gestellte Einsatzfahrzeug bereithalten. Er musste für Anrufe telefonisch erreichbar sein und danach entscheiden, ob er zur Einsatzstelle oder zur Dienststelle ausrückt. Seinen Aufenthaltsort hatte er dabei so zu wählen, dass er in Dienstkleidung und mit dem Einsatzfahrzeug die Stadtgrenze von Offenbach innerhalb von 20 Minuten nach Alarmierung erreichen konnte. Diese Zeiten der Rufbereitschaft wollte er als Arbeitszeit anerkannt haben und klagte dafür vor dem Verwaltungsgericht Darmstadt. Da die rechtlichen Einzelheiten zum Begriff der Arbeitszeit in einer europäischen Richtlinie (RL 2003/88/EG – „Arbeitszeit-Richtlinie“) geregelt sind, setzte das deutsche Gericht das Verfahren aus und legte die Sache zur Vorabentscheidung dem EuGH vor.

Europäischer Gerichtshof: Rufbereitschaft kann Arbeitszeit sein

Der EuGH stellte in seinem heutigen Urteil (v. 9.3.2021 – C-580/19) fest, dass Rufbereitschaft grundsätzlich als Ruhezeit qualifiziert werden kann und damit nicht als Arbeitszeit zählt. Maßgeblich für die Abgrenzung zwischen Ruhezeit und Arbeitszeit sei allerdings stets die tatsächliche Intensität der Einschränkungen, die der Beschäftigte erfahre. Eine nur kurze Alarmierungszeit spreche dafür, dass der Aufenthaltsort nicht frei gewählt werden könne. Ein wichtiger Aspekt bei der Beurteilung sei ebenfalls, wie häufig es zu Alarmierungen komme und wie oft der Beschäftigte mit einer Inanspruchnahme während der Rufbereitschaft zu rechnen habe.

Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft

„Das Arbeitszeitrecht kennt nur schwarz oder weiß: Entweder ist die Zeit als Arbeitszeit einzustufen oder als Ruhezeit. Es gibt keine Mischform, die als „halbe Arbeitszeit“ zählt, selbst wenn die Belastungen bei Bereitschaftsdiensten tatsächlich geringer sind als bei Vollarbeit“, erläutert der Arbeitsrechtler Prof. Dr. Fuhlrott. Ebenso wie das europäische Arbeitszeitrecht unterscheide das deutsche Arbeitszeitrecht hierbei insbesondere zwischen Bereitschaftsdiensten und Rufbereitschaft. „Bereitschaftsdienst liegt zum Beispiel vor, wenn ein Feuerwehrmann vor Ort auf der Wache eingeteilt ist und auf einen Einsatz wartet. Diese Zeit gilt immer als Arbeitszeit. Bei der Rufbereitschaft hingegen kann ich den Aufenthaltsort frei wählen, sofern ich binnen einer bestimmten Zeitspanne vor Ort sein und meinen Dienst aufnehmen kann. Diese Zeit kann je nach vereinbarter Reaktionszeit auch als Freizeit angesehen werden“, so Fuhlrott. „Das Bundesarbeitsgericht hat in der Vergangenheit etwa Reaktionszeiten von 45 Minuten bis zur Arbeitsaufnahme für ausreichend angesehen, um die Zeit noch als Ruhezeit einzustufen“, erläutert der Hamburger Arbeitsrechtler.

Auswirkungen für das Arbeitszeitrecht

Bereits 2018 hatte der EuGH in einem Fall eines belgischen Feuerwehrmanns (Urteil v. 21.2.2018 – C-518/15) ähnlich entschieden und Rufbereitschaftsdienste dem Grundsatz nur dann als arbeitsfreie Zeit erlaubt, wenn der Beschäftigte durch die Reaktionszeit nicht unangemessen in seiner Freizeitgestaltung eingeschränkt wird. „Das aktuelle Urteil setzt diese Rechtsprechung weiter fort. Es macht damit deutlich, dass Rufbereitschaft weiterhin möglich ist. Deutlich ist aber auch, dass maßgebliches Kriterium die tatsächliche Einschränkung des Arbeitnehmers ist. Zeiten zur Arbeitsaufnahme von nur 20 Minuten dürften damit regelmäßig der Annahme von Rufbereitschaft entgegenstehen. Solche Zeiten werden als Arbeitszeit zu qualifizieren sein“, meint Fuhlrott. „Damit ist aber noch keine Aussage über die Vergütung der Arbeitszeit getroffen. Die vom Europäischen Gerichtshof getroffene Entscheidung betrifft nur die Frage, wie lange gearbeitet werden darf und wann Ruhezeiten eingelegt werden müssen“, so der Arbeitsrechtler.

Prof. Dr. Michael Fuhlrott ist Professor für Arbeitsrecht an der Hochschule Fresenius in Hamburg sowie Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei FHM Rechtsanwälte.