Fast 94 Prozent der queeren jungen Menschen in Bayern erleben Diskriminierung

Gemeinsam mit dem Institut für Diversity- & Antidiskriminierungsforschung (IDA) und der Hochschule Fresenius hat der Bayerische Jugendring (BJR) heute die Ergebnisse des von ihm initiierten Forschungsprojekts „How are you?“ (HAY) vorgestellt. Erstmals wurden hierfür mehr als 2.000 junge LSBTIQA* Personen zwischen 14 und 27 Jahren in Bayern online zu ihrer Lebenssituation, möglichen Gewalt- und Diskriminierungserfahrungen sowie Ressourcen und spezifischen Bedarfen befragt.

Die Ergebnisse zeigen, dass sowohl das Wohlbefinden als auch die Resilienz von jungen LSBTIQA* Personen deutlich niedriger sind als die Werte Gleichaltriger in der Allgemeinbevölkerung. Dem liegen reelle Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen zugrunde sowie – insbesondere bei jüngeren LSBTIQA* Personen – Ängste vor einem Coming-out, vor Ablehnung und Diskriminierung. Etwa 9 von 10 Befragten (93,9 Prozent) gaben an, mindestens einmal Diskriminierung erlebt zu haben. Die größte Offenheit im Umgang mit ihrer LSBTIQA* Identität zeigen junge queere Menschen gegenüber Freund:innen, die geringste am Arbeitsplatz. Im Internet geben sie sich offener als gegenüber der Herkunftsfamilie, wo vermutlich Erfahrungen von Diskriminierung und fehlender Akzeptanz ein ambivalentes Verhältnis begründen.

Wichtige Schutzräume: Angebote der queeren Jugendarbeit ausbauen

„Mit der ‚How-are-you’-Studie steht uns erstmals eine belastbare Datenbasis zur Verfügung, um die Lebenssituationen und Bedarfe queerer junger Menschen in Bayern genauer zu durchleuchten und konkrete Handlungsempfehlungen für Politik und Jugendarbeit zu entwickeln“, sagt BJR-Präsident Philipp Seitz. „Die Studienergebnisse fließen nicht zuletzt in das vom BJR und JFF organisierte Beteiligungsverfahren zum Bayerischen Aktionsplan QUEER ein, in den queere Organisationen und Initiativen sowie Vertreter:innen unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen ihre Gedanken, Ideen und Vorschläge einbringen können. Neben dringend erforderlichen spezifischen Anlaufstellen und qualifizierten Beratungsangeboten für queere Jugendliche sieht der BJR noch enormen Handlungsbedarf im Ausbau und der Förderung von niedrigschwelligen Angeboten der Jugendarbeit, wo sich LSBTIQA* Jugendliche vernetzen und Selbstwirksamkeit erfahren können.“

„Die Antworten der Studienteilnehmer:innen machen klar, welche enorme Bedeutung spezifische Angebote der Jugendarbeit für junge LSBTIQA* Personen haben“, bekräftigt Patrick Wolf, Queer-Beauftragter beim BJR. „Viele queere Jugendliche empfinden beispielsweise ihre LSBTIQA* Jugendgruppe als einen Schutzraum: Hier sind sie sicher vor Diskriminierung, finden kompetente Ansprechpartner:innen und treffen vor allem auch queere Peers, denen gegenüber sie sich nicht oder weniger erklären müssen und die ihnen helfen, eine positive Identität zu entwickeln. Daher müssen nicht nur Selbstorganisationen queerer Jugendgruppen gestärkt werden, sondern auch die Förderung einer Koordinierungs- und Fachstelle für queere Jugendarbeit auf Landesebene ist ein wichtiges Anliegen für den BJR. Dadurch könnten die bestehenden Angebote in der Jugendarbeit besser vernetzt, Akteur:innen begleitet und Qualifizierungen für Multiplikator:innen angeboten werden.“

Prof. Dr. Dominic Frohn, Wissenschaftlicher Leiter am Institut für Diversity- & Antidiskriminierungsforschung, ergänzt: „Damit sie mehr Akzeptanz und Unterstützung und weniger Diskriminierung erfahren, wünschen sich LSBTIQA* Personen in vielen zentralen Lebensbereichen eine Sensibilisierung zu queeren Themen – in Schule, Arbeit und Behörden zum Beispiel, aber auch bei medizinischem und psychologischem Fachpersonal“. Nain Heiligers, wissenschaftliche:r Projektkoordinator:in der HAY-Studie, fügt hinzu: „Ein gesellschaftliches Klima, in dem queere Menschen so akzeptiert werden, wie sie sind, und vor allem auch Unterstützung durch für sie relevante Bezugspersonen sind wichtige Grundvoraussetzungen für die Entwicklung von Wohlbefinden und Resilienz. Dies brauchen sie nicht zuletzt, um ein Phänomen, das wissenschaftlich Minderheitenstress genannt wird, zu bewältigen. So werden sowohl individuelles Wachstum als auch die aktive Mitgestaltung an gesellschaftlichen Entwicklungen gefördert. Die HAY-Studie verdeutlicht, wie viel es in diesem Bereich noch zu tun gibt – und sie liefert auch ganz klare und einfach zu verwirklichende Handlungsempfehlungen für die Praxis, beispielsweise den Ausbau von Beratungsstellen und Jugendangeboten mit qualifiziertem Personal mit ‚Regenbogenkompetenz‘“.

Weitere Informationen

Die vollständige Studie erscheint Anfang 2024. Bereits jetzt können Sie diese unter Angabe Ihrer Kontaktdaten als Print- oder PDF-Version vorbestellen per E-Mail an wolf.patrick@bjr.de. Eine Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse finden Sie unter www.howareyou.bayern.