PLASTIK AUF DEM MOND – FAKT ODER FAKE?

Prof. Dr. Thomas P. Knepper, Vizepräsident für Forschung und Forschungsförderung an der Hochschule Fresenius, ruft zu mehr Versachlichung der Mikroplastikdiskussion auf. Er sagt, dass die Analytik für diese ubiquitär vorkommenden Kontaminanten bei weitem nicht trivial ist und viele über die Medien verbreiteten Zahlen sehr spektakulär aufbereitet werden und wenig Aussagekraft haben. Weitere Forschungsvorhaben sind dringend notwendig, sie sind aber auch sehr aufwändig und teuer. Auf einem Segment nimmt das Institute for Analytical Research an der Hochschule Fresenius gemeinsam mit Kooperationspartnern eine Pionierstellung ein.

Idstein. „Plastik auf dem Mond – Fakt oder Fake“, mit diesem Titel eines Sondervortrages zum Jahresende in Idstein wollte Prof. Dr. Thomas Knepper bewusst provozieren und auf die großen Herausforderungen in der Polymerforschung hinweisen.

„Wenn man davon ausgeht, dass sowohl unbemannte als auch bemannte Mondexkursionen stattgefunden haben, ist es vollkommen sicher, dass Analytiker auch auf dem Mond Kunststoffpartikel finden würden. Der Mensch hat sie dorthin gebracht und zum Teil auch hinterlassen, sei es in Form von Fahnen oder zurückgelassenen Mondmobilen, sogar der Abrieb von den Fahrzeugen ließe sich nachweisen“, so der Wissenschaftler. Plastikpartikel kommen fast überall vor, im Gebirge, in der Arktis, im Meer, sogar in der Luft – und dadurch eben auch im menschlichen oder tierischen Organismus.

„Die entscheidenden Fragen sind: Welche Folgen hat das, und wie gravierend ist ein Eintrag? Um diese Fragen beantworten zu können, brauchen wir belastbares Datenmaterial und das liegt schlicht noch nicht vor. Das momentane Streben nach schnellen Resultaten ist kontraproduktiv und erzeugt Unsicherheit bis hin zu Panik. Sehr viele Studien basieren auf Messungen und Hochrechnungen, die dringend notwendige Forschungsparameter außer Acht lassen,“, erläutert Knepper. „Das erfüllt nicht unbedingt die Voraussetzungen wissenschaftlich fundierten Arbeitens.“

Schon die Definition von „Mikroplastik“ als feste und unlösliche synthetische Polymere kleiner fünf Millimeter ist, was die Größe betrifft, rein willkürlich. Diese lassen sich zwar in einem Organismus nachweisen, sind aber zu groß, um wirklich Schaden anzurichten: „Das Gute am Organismus ist, dass Partikel, die aufgenommen und nicht verwertet werden können, in unveränderter Form wieder ausgeschieden werden – das gilt für den Menschen ebenso wie für Tiere. Deshalb findet man sie zum Beispiel auch im menschlichen Kot.“ Zwei Dinge gilt es in Zukunft zu klären und darauf müssen sich künftige Forschungsvorhaben konzentrieren. Erst dann kann man seriöse Aussagen zur Gefährlichkeit machen. 

Zum einen muss mehr über die Rolle von Mikroplastik als „trojanisches Pferd“ herausgefunden werden: Was passiert, wenn sie eine Bindung mit Schadstoffen eingehen? Welche Reaktionen finden statt? Dazu gibt es aktuell noch zu wenige systematische Untersuchungen. Und: Richtig interessant wird es im Nanobereich, also dann, wenn von Partikeln in der Größenordnung von kleiner einem Millionstel Meter die Rede ist. Knepper berichtet, dass diese durchaus in Zellen eindringen und dann möglicherweise auch schädliche Wirkungen entfalten könnten. „Hier gelangen wir dann eben an die Spitze der Forschungsvorhaben. Es gibt zurzeit nur ganz wenige Methoden, um diese Nanopartikel überhaupt messen zu können – und dies nur in reinen Kompartimenten wie es Wasser darstellt, aber eben nicht innerhalb eines komplexen Organismus wie dem menschlichen Körper. Deshalb ist es dringend erforderlich, die Forschung in diesem Zusammenhang weiter voranzutreiben.“

Darin steckt eine große Herausforderung. Die Analytik im Bereich Kunststoffe ist enorm aufwändig. Laut Knepper verwenden Forscher oft einen ganzen Tag, nur um eine Probe zu untersuchen. Zum Vergleich: Bei der Analyse von Arzneimitteln können zum Teil pro Stunde tausende Daten produziert werden.

Selbst im deutlich sichtbaren Bereich – pro Jahr gelangen zwischen 300 und 400 Millionen Tonnen Kunststoff in die Umwelt – hält der Wissenschaftler zusätzliche Forschung für notwendig, um eine valide Aussage treffen zu können, was das Ökosystem verträgt und welche Auswirkungen Eintrag und Persistenz von Kunststoffen haben. „Wir brauchen Modellstudien etwa dazu, wie lange eine PET-Flasche in der Umwelt verbleibt – sind es 300 Jahre oder gegebenenfalls noch länger? Und was ergibt sich aus den Abbauprodukten?“

Ein weiteres Beispiel ist der Reifenabrieb im Straßenverkehr. „Nach aktuellen Daten ist dieser die Ursache für den größten Eintrag von Mikroplastik in der Umwelt. Allein in Deutschland sind das jährlich fast 100 Millionen Kilo“, rechnet Knepper. „Und auch da haben wir mehr offene Fragen als gesicherte Erkenntnisse. Was gelangt neben den Polymeren über den Reifenabrieb noch in die Umwelt? Wo gelangen sie hin, inwiefern verbleiben sie? Das weiß bisher niemand.“ Das Institute for Analytical Research an der Hochschule Fresenius will das jetzt gemeinsam mit Kooperationspartnern herausfinden. Geplant sind zunächst Forschungsvorhaben, um Messmethoden etablieren zu können. „Dass wir etwas tun müssen, ist unbestritten. Aber wir sollten das immer in einem vernünftigen wissenschaftlichen Kontext tun“, so Knepper abschließend.