BUNDESARBEITSGERICHT: ARBEITGEBER MÜSSEN FAHRRADLIEFERANTEN FAHRRAD UND MOBILTELEFON STELLEN
Ein Fahrradkurier fährt auf der Straße. Das Bild ist verschwommen.

Unternehmen müssen ihren Beschäftigten die für die Ausübung ihrer Tätigkeit notwendigen Betriebsmittel zur Verfügung stellen. Abweichungen davon sind per arbeitsvertraglicher Regelung regelmäßig nicht möglich. Die klagenden Fahrradlieferanten können daher Fahrrad und Mobiltelefon von ihrem Arbeitgeber verlangen. Arbeitsrechtler Prof. Dr. Michael Fuhlrott, Professor an der Hochschule Fresenius in Hamburg, bewertet das aktuelle Urteil.

Hamburg. Das Bundesarbeitsgericht (Urt. v. 10.11.2021, Az.: 5 AZR 334/21 und 5 AZR 335/21) hat heute über zwei Fälle zu entscheiden, in denen Fahrradlieferanten gegen ihren Arbeitgeber, eine große Internetplattform für Essensbestellungen, klagten. Nach den arbeitsvertraglichen Regelungen sollten die Fahrradlieferanten ihr eigenes Fahrrad und ihr eigenes Mobiltelefon für die Essensauslieferung nutzen. Eine Entschädigung wurde dafür nicht gezahlt. Die Fahrradlieferanten machten daher klageweise geltend, dass ihr Arbeitgeber ihnen die zur Ausübung ihrer Tätigkeit notwendigen Betriebsmittel, sprich Fahrrad und Mobiltelefon mit ausreichenden Datenvolumen zur Nutzung der Bestell-App, zur Verfügung stellen muss.

Bundesarbeitsgericht: Arbeitgeber muss Betriebsmittel stellen

Das Bundesarbeitsgericht gab in seinen heutigen Entscheidungen den klagenden Arbeitnehmern Recht (Pressemitteilung Nr. 38/21 des Bundesarbeitsgerichts). Danach sei es Sache des Arbeitgebers, die für die Ausübung der Tätigkeit notwendigen Betriebsmittel den Beschäftigten zur Verfügung zu stellen. Eine arbeitsvertragliche Regelung, die die Beschäftigten ohne finanziellen Ausgleich verpflichte, ihre eigenen Fahrräder und Mobiltelefone dafür zu nutzen, sei eine unangemessene vertragliche Gestaltung. Eine Übertragung der Pflicht zur Stellung der Betriebsmittel auf die Beschäftigten sei allenfalls dann zulässig, wenn eine angemessene Entschädigung dafür gewährt werde.

Ausnahmen bei finanzieller Kompensation möglich

„Arbeitgeber tragen das Betriebsrisiko. Sie ziehen den wirtschaftlichen Nutzen aus dem Betrieb. Dafür müssen sie dann aber auch den Arbeitnehmern die zur Erfüllung der Tätigkeit notwendigen Arbeitsutensilien an die Hand geben“, so Prof. Dr. Michael Fuhlrott. „Die Entscheidung kam daher nicht überraschend“, meint der Arbeitsrechtler. „Arbeitsverträge können aber durchaus eine pauschale Kompensation für die Nutzung der eigenen Gegenstände vorsehen“, so Prof. Dr. Fuhlrott. „Wenn die Zahlung in einem angemessenen Verhältnis zu den aufgewendeten eigenen Ressourcen steht, sind pauschale Abgeltungsregelungen möglich“, erläutert der Arbeitsrechtler. „Wichtig ist hierbei nur, dass der Arbeitnehmer nicht unangemessen benachteiligt wird“, so Fuhlrott.

Fahrradlieferanten als Arbeitnehmer mit Urlaubsanspruch

 „Unabhängig von der konkreten Fragestellung sind Fahrradlieferanten zudem regelmäßig als Arbeitnehmer einzustufen“, ergänzt der Hamburger Arbeitsrechtler. „Damit stehen ihnen Ansprüche auf bezahlten Urlaub, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall sowie das Recht auf Kündigungsschutz zu“, so Fuhlrott. „Auch ist die Gründung eines Betriebsrats denkbar, um mit dem Arbeitgeber über die Änderung der Arbeitsbedingungen zu verhandeln, sagt Arbeitsrechtler Fuhlrott.

Prof. Dr. Michael Fuhlrott ist Professor für Arbeitsrecht an der Hochschule Fresenius in Hamburg sowie Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei FHM Rechtsanwälte.