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Kompetent ist gleich gesund?

17.07.2019

Frau mit Zeitschrift

Prof. Dr. Cathleen Gaede-Illig widmete sich in ihrer Antrittsvorlesung an der Hochschule Fresenius in Hamburg der Gesundheitskompetenz. Im Interview erklärt sie, warum diese ein teilweise unterschätztes Public-Health-Problem ist und warum es nicht ausreicht, ausschließlich individuelle Kompetenzen zu fördern, um die Gesundheit in der Bevölkerung zu verbessern.

Die grundlegende Frage zuerst: Was bedeutet Gesundheitskompetenz?

Gesundheitskompetenz meint das notwendige Wissen und die Motivation, gesundheitsrelevante Informationen zu finden, zu verstehen und zu beurteilen sowie das erworbene Wissen im Alltag zu nutzen, um gesundheitsbewusste Entscheidungen zu treffen. Zudem geht es darum, unser Gesundheitssystem und die Strukturen, in denen wir leben, so zu gestalten, dass wir eine Chance haben, relevante Informationen zu finden und zu erkennen, ob sie fundiert sind oder ob sie keine wissenschaftlichen Belege haben.

Um Gesundheitskompetenz zu verbessern, muss daher an diesen beiden Stellschrauben gedreht werden: Wir sollten die persönlichen Kompetenzen fördern oder überhaupt erstmal ausbilden – zum Beispiel bei Kindern und Jugendlichen. Gleichzeitig sollten wir auf struktureller Ebene am Gesundheitssystem arbeiten, sodass es einzelne Personen dabei unterstützt, Gesundheitskompetenz aufzubauen.

Wie ist der Forschungsstand im Bereich Gesundheitskompetenz?

Zwei der bedeutendsten Surveys sind das europäische Health Literacy Survey und das deutsche Health Literacy Survey. Diese Studien haben erstmalig gezeigt, dass hinsichtlich der Gesundheitskompetenz Defizite in der Bevölkerung bestehen – ob in dem Ausmaß, wie die Zahlen es belegen, darüber kann man diskutieren. Die Studien haben aber die Augen für das Thema Gesundheitskompetenz geöffnet und die politische Ebene Deutschlands sensibilisiert.

Außerdem sind Studien speziell zu vulnerablen – also besonders gefährdeten – Bevölkerungsgruppen entstanden. So haben ältere Menschen, Menschen mit Migrationshintergrund, chronisch Kranke und Kinder eine schlechtere Gesundheitskompetenz als die Gesamtbevölkerung und damit erhöhten Förderungsbedarf. Für diese Zielgruppen wird im Moment verstärkt geforscht.

Welche Forschungsergebnisse gibt es beispielsweise zur Gesundheitskompetenz bei Kindern und Jugendlichen?

Eine aktuelle Studie zeigt, dass beispielsweise Jugendliche gesundheitsrelevante Informationen zum Teil sehr schwer beurteilen können und dass deren selbst eingeschätzte subjektive Gesundheitskompetenz durch vielfältige Aspekte bestimmt wird.

Wurden die bisherigen Forschungsergebnisse in die Praxis überführt?

Es sind bereits einige Maßnahmen initiiert worden, auch gefördert durch die Politik. Zum Beispiel hat man das Zentrum für Gesundheitskompetenz an der Universität Bielefeld eingerichtet, um eine zentrale Anlaufstelle zu schaffen. Zudem wurde der Nationale Aktionsplan Gesundheitskompetenz erarbeitet, der 2018 fertiggestellt und publiziert wurde.

Parallel dazu laufen Studien, beispielsweise vom Bundesministerium für Gesundheit, die sich mit der Frage befassen: Wie müssen Informationen aufbereitet sein, damit wir sie finden, verstehen, anwenden und beurteilen können? Um daraus ableitend Internetseiten, Patienteninformation und Ähnliches aufzubauen.

Es werden also schon einige Maßnahmen zur Förderung der Gesundheitskompetenz umgesetzt. Ein Fazit Ihrer Antrittsvorlesung lautet dennoch: Gesundheitskompetenz stellt ein teilweise unterschätztes Public-Health-Problem dar. Woran machen Sie das fest – und welche Lösungsansätze gibt es?

Aufgrund der existierenden Studien ist schon viel passiert, aber in Deutschland stehen wir in der Erhebung noch am Anfang. Daher müssen wir weitermachen: Konzeptionell weiterarbeiten, kontinuierliche Erhebungen durchführen, Messinstrumente weiterentwickeln, die speziellen Zielgruppen anschauen und daraus zukünftig Schlüsse ziehen. Wie setzt sich zum Beispiel der Nationale Aktionsplan durch? Lässt er sich umsetzen? Die Maßnahmen, die aktuell in der Anwendung sind, müssen überprüft und evaluiert werden.

Stichwort Weiterentwicklung: Wie sieht es aus mit einer digitalen Gesundheitskompetenz? Wie problematisch ist es beispielsweise, sich Gesundheitsinformationen im Internet selbst zu suchen? Entsteht dabei nicht gefährliches Halbwissen?

Alle lieben und schätzen das Internet, aber so viele gute Informationen wie es dort gibt, so viele schlechte gibt es auch. Damit müssen wir lernen umzugehen. Ich denke, dass wir den Menschen, die nicht im Gesundheitswesen zuhause sind, Informationsquellen an die Hand geben müssen, wo sie fachlich korrekte Gesundheitsinformationen im Internet finden können.  Wenn junge Eltern zum Beispiel mit dem Thema Impfen in Berührung kommen, können Ärzte auf die Internetseite der ständigen Impfkommission verweisen. Ein Allgemeinmediziner kann darüber informieren, dass es auf der Website der BZgA gute und verständliche Informationen zu den unterschiedlichsten Gesundheitsthemen gibt.

Wie können gerade vulnerable Gruppen, wie bildungsärmere Menschen, Menschen mit Migrationshintergrund und Ältere, kompetenter gemacht werden?

Einige Informationen, die diese Zielgruppen erhalten, müssen anders aufbereitet werden: verständlicher und zielgruppenorientierter. Patienteninformationen, Wegweiser in Einrichtungen oder auch Beschreibungen für das Ausfüllen von Anträgen sollten in der Sprache der Zielgruppe formuliert werden. Außerdem müssen wir an unserem Gesundheitssystem arbeiten, es einfacher gestalten und Ansprechpartner schaffen, die Einzelne unterstützen und beraten können; zum Beispiel Lotsen in Krankenhäusern, die bei Fragen und Problemen weiterhelfen. Gerade chronisch kranken Menschen und Senioren ist mit persönlichen Kontakten weitaus mehr geholfen als mit Apps.

Zum Abschluss: Wenn Sie auf die noch junge Geschichte der Gesundheitskompetenz zurückblicken, wie wichtig ist es aus Ihrer Sicht, dass dieses Konzept entwickelt wurde und wo liegt der konkrete Mehrwert, dass die Forschung sich damit beschäftigt?

Es ist ein sehr wichtiges Thema, mit dem wir uns beschäftigen müssen. Wenn sich weiterhin bestätigt, dass wir in Sachen Gesundheitskompetenz schlecht aufgestellt sind, dann haben wir nur eine Chance, die Gesundheit der Bevölkerung zu fördern, wenn wir auch an dieser Stellschraube drehen. Beispiel Präventionsangebote: Es ist gut, wenn Krankenkassen solche Angebote anbieten und auf ihrer Website darüber informieren, aber nur, wenn die Adressaten diese Informationen auch finden und verstehen, werden die Präventionsmaßnahmen auch wahrgenommen.