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Ob bei Büchern, Kleidung oder Technik – der Online-Handel ist aus unserer Gesellschaft nicht mehr wegzudenken: Allein 2018 setzten Unternehmen durch Bestellungen im Internet über 65 Milliarden Euro um. Mit nur etwas mehr als 2 % des Umsatzes entfiel jedoch nur ein verschwindend kleiner Teil auf den Online-Lebensmitteleinzelhandel. Dabei könnte er gerade in ländlichen Räumen einen großen Mehrwert bieten.
Sebastian Dederichs, Bereichsleiter Career Development an der Hochschule Fresenius in Köln, beschäftigt sich seit mehr als drei Jahren mit den räumlichen Auswirkungen des Online-Lebensmitteleinzelhandels. Nun spricht er im Interview über die aktuelle Situation, erklärt Hintergründe und wirft einen Blick in die Zukunft.
Man kann das digitale Lebensmittelgeschäft in Deutschland als einen langsam expandierenden Nischenmarkt bezeichnen. Bereits in den 1990er-Jahren gab es erste Entwicklungen in dem Bereich, inzwischen sind aber auch große Unternehmen eingestiegen und treiben die Expansion voran. Gleichzeitig steigen aber auch viele Unternehmen, wie zum Beispiel Kaufland, nach einer Testphase wieder aus. Ein Grund hierfür liegt darin, dass in Deutschland erheblichen Investitionen in die notwendige Logistik sehr geringe Margen gegenüberstehen.
Auch ein Blick auf die Umsatzanteile anderer europäischer Länder zeigt, dass es der digitale Lebensmittelhandel in Deutschland nicht leicht hat: Der Umsatzanteil in Frankreich liegt bei 3 %, in England sogar bei 5 %. Trotzdem gilt: Auch ein Anteil von 1 % bedeutet im deutschen Lebensmittelhandel Milliardenumsätze – da möchte kein Unternehmen wertvolle Marktanteile an die Konkurrenz verlieren.
Im Prinzip lassen sich drei neue Betriebsformen mit unterschiedlichen Geschäftsmodellen erkennen. Dabei kann Rewe dem ergänzenden E-Commerce zugeordnet werden, der sowohl über eine für den Online-Lebensmitteleinzelhandel geschaffene Lagerlogistik als auch ein stationäres Filialnetz verfügt. Amazon Fresh oder AllyouneedFresh gehören dagegen zum reinen E-Commerce, der Waren ausschließlich online anbietet und in der Regel aus Zentrallagern heraus versendet. Beim Warentransport greifen beide Formen auf eigene Lieferflotten oder externe Dienstleister zurück. Rewe und Picnic beispielsweise lösen die Logistik weitgehend über eine eigene Flotte, AllyouneedFresh versendet frische Lebensmittel mithilfe einer Trockeneiskühlung über DHL.
Die dritte Betriebsform ist der kombinierte E-Commerce. Bei diesem bieten zum Beispiel unterschiedliche Anbieter Waren über eine gemeinsame Online-Plattform an und lassen diese von Fahrradkurieren und anderen Logistikern ausliefern.
Unternehmen, die im digitalen Lebensmittelhandel aktiv sind, konzentrieren sich im Grunde auf drei Zielgruppen. Zu diesen gehören gut situierte Menschen in Ballungsräumen, die mehr Geld als Zeit haben und durch Lebensmittellieferungen Zeit sparen wollen, aber auch junge Familien, für die der Lebensmitteleinkauf mit Stressfaktoren verbunden ist, die sie durch eine Online-Bestellung vermeiden möchten. Die dritte Zielgruppe umfasst internetaffine Senioren, die aufgrund von körperlichen Einschränkungen ihre Einkäufe nicht nach Hause schleppen wollen oder können. Darüber hinaus wächst gerade eine Generation heran, die es gewohnt ist, Einkäufe im Internet zu tätigen, und dies auch auf den Lebensmittelbereich überträgt.
In der Theorie könnte der Online-Lebensmitteleinzelhandel hier einen starken Mehrwert bieten. Doch die Praxis zeigt, dass die Geschäftsmodelle insbesondere im ergänzenden E-Commerce auf städtische Räume ausgelegt sind und sich nicht ohne Veränderungen auf ländliche Gebiete übertragen lassen.
Die meisten Modelle des ergänzenden E-Commerce stützen sich auf stationäre Filialen oder eine Lagerstruktur in Ballungsräumen. In ländlichen Räumen fehlen diese Strukturen oft, was eine Lieferung erheblich verteuert. Deswegen gehen einige Unternehmen inzwischen dazu über, in ländlichen Gebieten mögliche Liefertermine zu reduzieren und die Mindestbestellmengen zu erhöhen. Der Online-Lebensmitteleinzelhandel ist gegenwärtig ein vor allem städtisches Phänomen, für dessen Ausbreitung in ländliche Räume erst noch geeignete und effiziente Lösungen gefunden werden müssen.
Der Online-Lebensmitteleinzelhandel hat es noch nicht geschafft, seinen Kunden bewusst zu machen, dass gelieferte Lebensmittel sogar noch frischer als jene im Supermarkt sind. Das liegt im Wesentlichen an einer verkürzten Lieferkette, die keine Umwege über Regionallager und Filialen macht, wie es im stationären Handel üblich ist. Zudem ist der Wettbewerb hart, sodass sich kein Unternehmen aufgrund verdorbener Ware unzufriedene Kunden leisten kann.
Eine Kühlkette wird entweder durch gekühlte Lieferfahrzeuge oder eine Trockeneiskühlung gewährleistet, die frische Lebensmittel bis zu 48 Stunden lang kühl hält. Das Prinzip ist dabei nicht mal neu: Das Unternehmen Bofrost liefert bereits seit über 30 Jahren mit einem ähnlichen Konzept tiefgekühlte Ware aus.
Die Frage ist eher, welche Rahmenbedingungen ländliche Bevölkerungen mittragen werden. Jemand, der in einer ländlichen Region lebt und dem keine stationäre Infrastruktur zur Verfügung steht, ist eher bereit, die Mehrkosten für eine Lieferung zu tragen, als derjenige, der Alternativen nutzen kann. Während die Bevölkerung in den Städten schon mit der Same Day Delivery, der Lieferung am Tag der Bestellung, versorgt wird, nimmt ein Versand in ländlichen Räumen deutlich mehr Zeit in Anspruch. Zudem bauen viele der Geschäftsmodelle im Online-Lebensmitteleinzelhandel auf Konzepten in verdichteten Räumen auf.
Dennoch gibt es inzwischen erste Unternehmen, die in ländlichen Gebieten eine Nische entdecken und teilweise auf Betriebsformen aufbauen, die in Städten in den Hintergrund gerückt sind. Insbesondere der ambulante Handel, bei dem der Verkäufer zum Kunden kommt, kann hier eine wichtige Rolle einnehmen und Motive des „Supermarkts auf Rädern“ aufgreifen.
Der Online-Lebensmitteleinzelhandel geht derzeit nur langsam von einer Experimentier- in eine Expansionsphase über. Selbst in den Städten verdienen die großen Lebensmittelunternehmen noch kein Geld durch Bestellungen im Internet und auch in ländlichen Räumen fehlen bisher geeignete Konzepte, um wirklich kostendeckend zu liefern. Inwiefern veränderte Geschäftsmodelle in Zukunft in ländlichen Räumen Erfolg haben werden, hängt auch von logistischen Innovationen ab und davon, inwieweit die Kunden einen Mehrwert im digitalen Lebensmittelhandel erkennen und bereit sind, für diesen Mehrwert zu zahlen.
Das ist die entscheidende Frage, die sich alle Akteure im digitalen Lebensmittelgeschäft stellen und mit der sie sich unentwegt konfrontiert sehen. Der Unternehmer, der sie beantworten kann, hat gute Chancen, die Marktführerschaft im Online-Lebensmitteleinzelhandel zu übernehmen. Die Beantwortung der Frage würde jedoch einem Blick in die Glaskugel gleichkommen.
Es deutet aber einiges darauf hin, dass sich der digitale Kanal im Lebensmittelhandel etablieren wird. Dabei setzt sich ein Trend fort, der schon in den 2000er-Jahren mit den Online-Händlern im Delikatessenbereich zu erkennen war und jetzt das Vollsortiment entdeckt. Fest steht aber: Wenn sich mit dem Online-Lebensmitteleinzelhandel auch zukünftig nur rote Zahlen schreiben lassen, wird er sich kaum aus der Nische heraus entwickeln können.
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