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Die Persönlichkeit entscheidet über das Kaufverhalten: Psychografisches Targeting erkennt die Charaktereigenschaften der Nutzer und soll individuelle Werbung ermöglichen

Werbung früher sah so aus: Es gab es ein Plakat mit einer einzigen Botschaft oder einen Werbespot, der alle Altersgruppen und Schichten zugleich ansprechen sollte, beispielsweise von Persil, Coca-Cola oder Yogurette. Generell wurden Konsumenten nach Alter, Geschlecht, Wohnort, Ausbildung und Einkommen in Gruppen zusammengefasst und man ging davon aus, dass alle innerhalb einer Gruppe die gleichen Vorlieben teilten. So funktioniert Werbung heute nicht mehr. Mittlerweile sind die Menschen auch innerhalb ihrer Gruppen viel zu verschieden, um nach dem Gießkannenprinzip Werbebotschaften über sie auszukippen. Die klassischen Zielgruppen lösen sich auf. Mit dem Internet hat sich die Art der Werbung bereits stark verändert. Haben wir uns beispielsweise einmal Schuhe in einem Online-Shop angesehen, wird uns genau dieses Paar danach immer wieder im Netz begegnen, egal, auf welcher Website wir unterwegs sind.

In Zukunft wird Werbung noch intensiver auf unsere Vorlieben und Charaktereigenschaften eingehen und individuell auf uns zugeschnitten werden. Diese Methode nennt man psychografisches Targeting. „Dafür analysieren Psychologen das Surfverhalten und bilden daraus digitale Personen/Profile, die gezielt mit Werbung beliefert werden. Begleitet man die Suchhistorie eines Menschen über einen längeren Zeitraum, zeigen sich bestimmte Verhaltensmuster. Vergleicht man diese Muster mit denen anderer Nutzer, lassen sich Gruppierungen bilden“, heißt es in einem Artikel der W&V (34/2017) zum Thema. „Wer sich aktuell für Extremsportarten interessiert, sollte anders angesprochen werden als jemand, der gerade virtuell in Esoterikratgebern kramt. Im Fokus stehen dabei die Einstellungen und Motive, die Menschen zu ihren Kauf- und Handlungsentscheidungen führen. Prof. Dr. Joost van Treeck, Dekan für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Fresenius Hamburg, Fachbereich Wirtschaft & Medien, hat mit uns darüber gesprochen.

Wie gehen die Werber nun vor, wenn sie psychografische Methoden verwenden? Im Wesentlichen geht es darum, die Persönlichkeiten von Menschen in verschiedene Profile zu gießen, aus denen man dann individuell unterschiedliche Handlungstendenzen herleiten kann. Psychografisches Targeting untersucht, warum ein Mensch sich so oder so verhält. „Das Ziel ist, die Persönlichkeitsfaktoren hinter den Kaufentscheidungen zu finden und dann Vorhersagen für andere Situationen zu treffen. Wie ein Mensch handelt und was er kaufen wird, hängt von seinen Motiven ab“, erklärt van Treeck. Die wichtigsten Motive seien demnach Macht, Leistung und Anschluss. Menschen mit einem starken Machtmotiv mögen es zu führen und Einfluss zu nehmen. Bei Chefs, Lehrern, Müttern und Politikern sei hier eine starke Ausprägung zu finden. Solche Menschen bevorzugten Kreationen, mit denen ein Machtanspruch dargestellt werden kann. Menschen mit starkem Leistungsmotiv dagegen suchten ständig nach Verbesserung und Optimierung. Ihnen müsse man Produkte präsentieren, die sich auf Leistungssituationen und zu meisternde Herausforderungen beziehen. Das Anschlussmotiv stehe für den Wunsch, dazu zu gehören und Zugang zu einer Gruppe zu haben. Diese Gruppe reagiere am besten auf Produkte, die dabei helfen, Anschluss zu Menschen zu finden oder Zugehörigkeit zu dokumentieren. Die Kommunikation mit dieser Klientel unterstreiche deshalb vor allem gemeinschaftliche Erlebnisse.

RATIONAL, EMOTIONAL ODER HANDLUNGSBEZOGEN: AUCH DIE EINSTELLUNGEN DES MENSCHEN ENTSCHEIDEN

Eine zweite Möglichkeit, Kaufverhalten vorherzusagen, seien die Einstellungen des Menschen: rational, emotional oder handlungsbezogen. Rationale Einstellungen beschrieben demnach kopfgesteuerte und klar durchdachte Überzeugungen, emotionale Einstellungen betonten das Bauchgefühl und handlungsbezogene Einstellungen entstünden aus der routinehaften und wiederholten Handlung („Das habe ich schon immer so gemacht.“). Aus diesen genannten Motiven und Einstellungen werden nun neun verschiedene Persönlichkeiten kreiert, die unterschiedlich bedient werden müssen. Jede reale Person finde man im Durchschnitt in zwei bis vier Typen wieder.

Der Autohersteller Mini hat für die Einführung des neuen Modells Countryman Anfang 2017 zusammen mit der Werbeagentur Serviceplan bereits psychografisches Targeting eingesetzt. Professor Joost van Treeck hat die Agentur dabei wissenschaftlich beraten, die Typologien entworfen und entsprechenden Targetingalgorithmen für die typindividuelle Auslieferung der Werbemittel entwickelt. Für die Online-Kampagne wurden 200 unterschiedliche Bilder genutzt, die unterschiedliche Nutzer ansprechen sollen. Die potentiellen Kunden wurden in drei Gruppen eingeteilt, „Svenja“, „Olaf“ und „Bernd und Inge“. Hinter diesen sogenannten Personas stecken markenbezogene Verhaltensauffälligkeiten, denen man einen willkürlichen menschlichen Namen gegeben hat. „Olaf“ agiert emotional, leistungsbezogen und durchaus spontan. Er ist ein Bestimmer und handelt logisch. Dieser Gruppe kann man ein Auto zeigen, das auf einer Serpentine Richtung Klettersteig spurtet. „Svenja“ dagegen ist viel ruhiger und nachdenklicher. Diese Gruppe ist empfänglich für ein Werbemotiv, das die Sicherheit des Autos betont. Die geselligen „Bernd und Inge“ bekommen ein Bild zugespielt, auf dem die Türen des Countryman geöffnet sind und eine Familie neben dem Auto zu sehen ist. Jeder User soll genau das Bild oder Video sehen, das gerade am besten zu ihm passt. Dadurch, dass unterschiedliche Aspekte der Marke hervorgehoben werden, kann man die Menschen direkter ansprechen. Und offenbar hat diese Methode funktioniert: „Im Vergleich zu einer Kampagne von 2011 haben wir bis zu viermal mehr Interessenten generiert“, bilanziert van Treeck.

TRACKER VERFOLGEN DAS SURFVERHALTEN

Eine solch individuelle Kommunikation kann nur funktionieren, wenn man die Person vor dem Computer sehr gut kennt. Auf einer einzigen Homepage wie beispielsweise Spiegel Online seien gleich mehrere Tracker installiert: So verfolge Spiegel Online selbst das Verhalten seiner Leser, aber auch Google und die verschiedenen Vermarkter der Werbeanzeigen auf der Seite protokollierten genau, wer wohin klicke. Das alles passiere nach den datenschutzrechtlichen Vorgaben. Aufgezeichnet würden keine personenbezogenen Daten, sondern Bewegungsprofile im Netz. „Das Sammeln von Daten ist überhaupt kein Problem. Die Sammler sind eher überfordert von der Menge an Daten, die sie sich ziehen. Nur ein Wert im Promillebereich davon wird überhaupt genutzt. Noch existieren zu wenig logische Aussagen, wie die Daten zusammenhängen. Und da kommen Werbepsychologen ins Spiel, denn wer sich im Netz wie bewegt, das hat etwas mit der Persönlichkeit zu tun“, sagt van Treeck.

Lesen Sie ein weiteres Interview zum Thema aus dem Branchenportal nativeadvertising.de hier.