Meeting

Brauchbare Illegalität

Nicht immer halten sich Angestellte an die vom Arbeitgeber festgelegten formalen Regeln. Und das ist auch gut so. Ansonsten hätten Unternehmen in einer dynamischen Wirtschaftswelt bald das Nachsehen, wie eine an der Hochschule Fresenius Köln entstandene Masterarbeit herausstellt.

Bevor man als Arbeitnehmer Urlaub machen kann, muss man erst einmal einen formalen Akt hinter sich bringen: In den meisten größeren Unternehmen muss der Urlaub zunächst mit Hilfe eines entsprechenden Formulars beantragt werden; das ausgefüllte und unterschriebene Formular landet dann auf dem Tisch des Vorgesetzten, nimmt vielleicht noch einen kurzen Umweg über die Verwaltung und kommt bestenfalls als „genehmigter“ Antrag wieder zurück zum Angestellten. Erst jetzt kann die konkrete Urlaubsplanung vorangetrieben werden.

Doch nicht nur die Urlaubsbeantragung ist in Organisationen formal geregelt. Auch im Zusammenhang mit Arbeitsabläufen, Meetings oder der internen wie externen Kommunikation gilt es, Vorschriften einzuhalten. So will es die Unternehmensbürokratie, die meist über Jahre hinweg gewachsen ist oder vielleicht erst vor kurzem von einem Berater eingeführt wurde.

Neben dieser formalen Ordnung existiert in einer Organisation aber auch immer eine informale Ordnung. Sie manifestiert sich in unausgesprochenen Regeln, die von den Mitgliedern gewisse Verhaltensweisen einfordern, wie zum Beispiel, dass man die Toilette nach der Benutzung sauber zurücklässt oder gegenüber Kollegen hilfsbereit auftritt.

WENN REGELN MISSACHTET WERDEN, KANN DAS FÜR ORGANISATIONEN AUCH ZUM VORTEIL SEIN

„Hin und wieder geraten formale und informale Regeln miteinander in Konflikt“, weiß Dustin Hoeger, Absolvent der Hochschule Fresenius Köln. In seiner Masterarbeit hat er sich unter anderem mit diesen Konfliktsituationen beschäftigt. „Es kann zum Beispiel passieren, dass eine Arbeitnehmerin informalen Regeln folgt und außerhalb ihres eigenen Zuständigkeitsbereichs einem Kollegen hilft. Damit vernachlässigt sie streng genommen die in ihrem Arbeitsvertrag festgelegten Pflichten und verletzt damit auch formale Regeln“, nennt Hoeger ein Beispiel.

Sollte dem Unternehmen am Ende aber durch diese Regelverletzung ein Vorteil entstanden sein – nämlich, weil durch die kollegiale Unterstützung Probleme abgewendet werden konnten –, spricht man von „brauchbarer Illegalität“. „Gerade in großen Unternehmen, die sich einer dynamischen Umwelt ausgesetzt sehen, erschwert eine starre formale Ordnung häufig überlebensnotwendige Anpassungsmechanismen“, weiß Hoeger. In so einem Fall sei eine Regelverletzung zwar immer noch „illegal“, aber eben auch „brauchbar“.

Hoeger empfiehlt deshalb einen Perspektivwechsel: „Unternehmensverantwortliche sollten aufhören, Regelverstöße durchweg als etwas Negatives zu betrachten. Immerhin haben diese Verstöße oft eine wichtige Funktion: Sie machen sichtbar, wo im Unternehmen organisatorische Defizite vorhanden sind.“ Anschließend könne man dann an diesen Stellen nachbessern. In einer von der Globalisierung und der Digitalisierung bestimmten Wirtschaftswelt sei es schließlich nahezu unmöglich, mit starren formalen Strukturen zu überleben. „Dennoch, der VW-Abgasskandal hat auch vor Augen geführt, welche negativen Folgen Regelverletzungen haben können. Man sollte also schnellstmöglich die Ursachen dieser Praktiken identifizieren, um Risiken zu vermeiden“, gibt Hoeger abschließend zu bedenken.