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Wirtschaftsforensik: „Ich hatte nie einen Tag, der gleich ablief“

13.10.2022

Interview von Ines Biedenkapp

Eine Seite mit Symbolen der Wirtschaft ist aufgerissen und zeigt auf das Wort Wirtschaftskriminalität

Vor drei Jahren, im Wintersemester 2019, startete der berufsbegleitende Master in Wirtschaftsforensik an der Hochschule Fresenius. Zum ersten Jahrgang gehören auch Sara Di Turo und Sara Theveßen. Die beiden haben gerade ihre Masterarbeiten abgeschlossen. Im Interview erzählen sie, was das Spannende an Wirtschaftsforensik ist und welche Herausforderungen im Studium wie auch im Arbeitsalltag warten. 

Was genau bedeutet Wirtschaftsforensik? 

Sara Di Turo: Wirtschaftsforensik ist ein weitgreifender Begriff. Er fasst alles zusammen, was mit der Entdeckung und Aufklärung von Wirtschaftskriminalität zu tun hat. Das umfasst auch die präventive Arbeit, also zu schauen, dass Straftaten schon im Vorfeld verhindert werden – beziehungsweise die Risiken dafür bestmöglich minimiert werden. Forensik bedeutet aber auch Monitoring. Aktuelle Prozesse und Reportings beobachten und zu überlegen: Was müssen wir verbessern? Und dann gibt es noch den sehr spannenden Bereich der Aufklärung von Vorfällen. Um die Zusammenhänge zu verstehen, braucht man Kenntnisse aus verschiedenen Bereichen. In die erhält man während des Studiums auch Einblicke, etwa den IT-Bereich, ins Rechtswesen oder die Polizei-Arbeit. 

Sara Theveßen: Ich kann mich dir da nur anschließen. Es ist ein weitgreifender Begriff und das Schöne ist, dass das Studium genau die Bereiche umfasst, die wichtig sind – Kriminalistik und Kriminologie, Recht, BWL und Informatik. 

Porträt von Sara Di Turo
Absolventin Sara Di Turo

Sara di Turo kommt ursprünglich aus dem Marketing und Vertrieb und hat verschiedene Projekte betreut. Schon während des Studiums zog es sie allerdings in die Wirtschaftsforensik, weswegen sie in einer Compliance-Beratung gearbeitet hat. Für die Zeit nach ihrem Studium gönnt sie sich eine berufliche Auszeit, um auszuloten, in welchen Bereich der Wirtschaftsforensik sie einsteigen möchte. In dieser Zeit unterstützt sie als Freelancerin Persönlichkeiten in ihren LinkedIn-Auftritten. 

Wie sind Sie auf den Studiengang gekommen? 

Sara Di Turo: Mein Interesse für Wirtschaftskriminalität kam bereits während meines Bachelors zum Vorschein. Also so generell: Wie funktioniert Kriminalität? Wieso machen Menschen das? Nach meinem Bachelor habe ich online nach Dokumentationen über Wirtschaftskriminalität recherchiert und eben auch, wie man da beruflich tätig sein kann – also natürlich auf der guten Seite (lacht). Mir war klar, dass ich irgendwie Teil der Wirtschaftskriminalitätsbekämpfung sein wollte. Ich wusste nur nicht wie und wo, in welchem Bereich – also, ob ich in Kanzleien möchte, in die IT oder vielleicht zur Polizei? Ich wusste nur, dass ich nicht Vollzeit studieren oder erneut eine Ausbildung machen wollte. Und dann fand ich den Studiengang und habe mich entsprechend eingelesen und mich immer mehr dafür begeistert.  

Wie war es bei Ihnen, Frau Theveßen?  

Sara Theveßen: Bei mir war bedingt durch meine Laufbahn in der Bankenbranche immer schon ein gewisses Interesse vorhanden, auch wenn ich zu Beginn nur indirekt Berührungspunkte mit der Thematik hatte. Insbesondere Betrugsmaschen und Geldwäsche beziehungsweise Geldwäscheprävention haben mich schon immer interessiert. Bevor ich in die Compliance-Abteilung gewechselt bin, habe ich also nach verschiedenen Möglichkeiten gesucht, mich extern weiterzubilden und gesehen, dass es verschiedene Anbieter gibt, die zertifizierte Weiterbildungskurse anbieten. Die Zertifikate verlieren aber nach einigen Jahren ihre Gültigkeit, weshalb das alles nicht so das Richtige für mich war. Irgendwann bin ich auf den Studiengang bei der Hochschule Fresenius gestoßen und dachte mir: Wow, das ist es! Das will ich machen! Ich hatte mir nämlich nach dem Bachelor gesagt, den Master mache ich nur, wenn es mich zu 100 Prozent interessiert. Und das war der Moment. (lacht)

Sara Theveßen hat eine Banklehre und ein Studium in Wirtschaftspsychologie absolviert und kennt sich in der Bankenwelt gut aus. Während des Studiums wechselte sie in die Compliance-Abteilung in den Bereich Betrugs- und Geldwäscheprävention. 

Porträt von Sara Theveßen
Absolventin Sara Theveßen

Sie arbeiten bereits beide im Bereich der Wirtschaftsforensik. Wie sieht denn ein typischer Arbeitsalltag aus? 

Sara Di Turo: Während der zweiten Hälfte des Studiums war ich in einer Compliance-Beratung tätig. Ich unterstützte unter anderem bei der Durchführung von Compliance-Risikoanalysen. Besonders spannend war oder ist, dass die Aufgaben und Anforderungen sehr unterschiedlich sind und auch innerhalb der gleichen Branche variieren. Kurz gesagt: Es war sehr abwechslungsreich. Ich hatte nie einen Tag, der gleich ablief. Und das macht die Compliance für mich so spannend und attraktiv.  

Wie ist es bei Ihnen, Frau Theveßen? 

Sara Theveßen: Ich glaube, mein Arbeitsalltag ist nicht ganz so abwechslungsreich wie der von Sara, weil ich nicht in der Beratung arbeite und dadurch auch nicht so viele verschiedene Unternehmen kennen lerne. Ich arbeite im Compliance-Bereich mit Schwerpunkt Geldwäscheprävention. Typische Aufgaben sind zum Beispiel das Monitoring von Transaktionen, die Bearbeitung von Betrugsfällen oder das Erstellen und Einreichen von Verdachtsmeldungen. Auch die Entwicklung oder Anpassung von Präventionsmaßnahmen gehören mit dazu. Obwohl gewisse Tätigkeiten täglich wiederkehrend sind, bleibt es trotzdem spannend. In der Praxis bekommt man Dinge zu sehen, da wundert man sich schon, wie simpel oder clever gewisse kriminelle Vorgehensweisen sind.  

Was braucht es, um Wirtschaftsforensiker:in zu werden? 

Sara Theveßen: Ich denke, es ist auf jeden Fall wichtig, dass man neugierig ist, Interesse und Spaß an unterschiedlichen Bereichen hat und auch die Herausforderung mag. Denn das Studium ist abwechslungsreich und diese Abwechslung wird einem auch im Beruf begegnen. Das Schöne ist: Man kann in jede Sparte einmal reinschnuppern und schauen, ok, was interessiert mich denn am Meisten? Interessiert mich die Kriminalistik oder bin ich ein Zahlenmensch und möchte Jahresabschlüsse prüfen? Bin ich ein IT-Nerd und möchte mich da näher mit befassen? Oder kann ich eine vermittelnde Position einnehmen, in der ich verstehe, was mir beispielsweise ein ITler sagt und es in verständlichen Worten an den Fachbereich weitergeben? Missverständnisse in der Kommunikation zwischen unterschiedlichen Parteien sind nämlich häufig ein Problem und da setzt der Studiengang mit seinen vier Schwerpunkten an.   

Sara Di Turo: Ich stimme allem, was Sara gesagt hat, zu: Die Neugierde ist wichtig. Was ich vielleicht noch ergänzen würde, ist das Thema – ich formuliere es vielleicht ein bisschen provokant – aber, man darf kein Sturkopf sein. Das bedeutet, man muss offen sein, sich mit Zielen und Vorgehensweisen anderer auseinanderzusetzen und auch offen dafür sein, diese verstehen zu wollen. Klammert man bewusst andere Akteure aus, wird man der Wirtschaftsforensik nicht gerecht. Dabei geht es ja gerade darum, alle Akteure zu verstehen und dann eine Entscheidung für die nächste Handlung treffen zu können. Wer von vornherein zum Beispiel sagt, mich interessiert nur Sicht A; Sicht B und C sind mir egal, der wird die Gesamtheit der Wirtschaftsforensik nicht erfassen können. Es geht nicht darum, in jedem Bereich Profi zu werden, sondern alle Bereiche so weit zu verstehen, dass man sich mit Personen aus dem Bereich unterhalten und die richtigen Fragen stellen kann. Für mich war IT zum Beispiel etwas, von dem ich weiß, dass ich das nie ganz durchdringen werden; Ich hatte richtig Angst vor diesem Modul und hätte es damals am liebsten abgewählt, wenn es die Möglichkeit dazu gegeben hätte. Inzwischen bin ich aber froh, dass mir die Möglichkeit zum Abwählen nicht gegeben wurde. Ich habe sogar meine Masterarbeit über ein IT-lastiges Thema geschrieben (lacht)

Das klingt nach viel Abwechslung. Aber kann man denn alle Bereiche gleichzeitig überblicken? 

Sara Theveßen: Man kann jetzt nicht erwarten, nach Absolvieren des Studiums ein Volljurist, Kriminalist oder Programmierer zu sein. Das ist natürlich nicht der Fall, denn dafür sind die einzelnen Themengebiete zu komplex. Aber es wird ein sehr guter Ein- und Überblick vermittelt. Es ist in der Kommunikation und Zusammenarbeit mit Personen aus eben diesen Fachgebieten unglaublich hilfreich, wenn etwa gewisse Begrifflichkeiten, Ansichten und Standpunkte klar sind. Das hilft, die andere Seite besser zu verstehen.  

Sara Di Turo: Und die kriminelle Fantasie. Sara, ich glaube du weißt, was ich meine (lacht). Du musst ja auch in die Denkweise deines „Gegners“ treten. Und der – oder die – ist ja eine Person, die ein Fehlverhalten an den Tag gelegt hat, die also gegen Regeln oder Richtlinien verstoßen hat. Man muss sich auch in diese kriminelle Denkweise reinversetzen. Du findest die Risiken ja erst, wenn du dir vorstellst: Wie würde jetzt ein Krimineller denken? Wo fehlt eine Kontrollinstanz, die eine Person mit krimineller Energie ausnutzen könnte? Also für die kriminelle Fantasie sollte man offen sein, aber selbstverständlich nicht mit dem Wunsch, sie auszuleben. 

Ich danke Ihnen für das Gespräch.