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Mit der Geburt eines Kindes beginnt für die frischgebackenen Eltern eine emotionale Zeit. Weinkrämpfe, Reizbarkeit und Glücksgefühle gehen manchmal fließend ineinander über: Den Babyblues durchleben schätzungsweise 40 bis 80 Prozent der Mütter in den Tagen nach der Geburt. Die Symptome vergehen typischerweise von alleine, eine Behandlung ist nicht erforderlich. Im Zusammenhang mit der Geburt eines Kindes können bei Müttern und Vätern jedoch auch ernsthafte psychische Störungen auftreten. Darüber sprach Prof. Dr. Tobias Weigl in seiner Antrittsvorlesung an der Hochschule Fresenius in Düsseldorf. Im Interview erläutert der Professor für klinische Psychologie, warum die psychischen Störungen auftreten und wer besonders gefährdet ist.
Generell wird die Geburt eines Kindes gesellschaftlich als positives Ereignis wahrgenommen, welches jedoch auch mit diversen Belastungen einhergeht. So setzen mit der Geburt teils sehr ausgeprägte Veränderungen im Alltag ein. Plötzlich ist da ein Kind welches volle Aufmerksamkeit benötigt. Dazu gehören bspw. Auswirkungen auf den Schlaf oder eine neue Rollenverteilung in der Paarbeziehung. Gelingt die Anpassung an diese veränderte Situation nicht, kann dies zu Symptomen von psychischen Störungen führen. Seit einiger Zeit finden sich darüber hinaus Forschungsansätze, welche die massiven hormonellen Veränderungen während und nach der Schwangerschaft als potenzielle Einflussfaktoren auf das psychische Befinden annehmen. Obwohl bereits einige Studien durchgeführt wurden, konnte bisher nicht eindeutig geklärt werden, inwiefern Hormone als Erklärung für psychische Beschwerden in der Peripartalzeit – also während Schwangerschaft, Geburt und im Wochenbett – herangezogen werden können.
Hier lassen sich verschiedene Risikofaktoren benennen. Insbesondere Eltern, die bereits früher schon einmal psychische Beschwerden hatten, leiden nach der Geburt deutlich häufiger an diagnostizierbaren psychischen Störungen als Eltern, bei denen dies nicht der Fall war. Ein erhöhtes Risiko ergibt sich weiterhin aus Komplikationen während Schwangerschaft und Geburt, bei denen die Gesundheit des Kindes oder sogar von Kind und Mutter in Gefahr waren oder tatsächlich Verletzungen aufgetreten sind. Dies kann zum Beispiel bei Frühgeburten oder bei Notkaiserschnitten der Fall sein.
Wichtig zu wissen ist zunächst: Bei bis zu 80 Prozent der Mütter treten etwa im Zeitraum vom dritten bis zum zehnten Tag nach der Geburt die sogenannten Heultage (= Babyblues, Postpartum-Blues) auf. Diese sind vor allem durch einen raschen Wechsel zwischen starken Emotionen gekennzeichnet. Lachen, Weinen, Reizbarkeit und Glücksgefühle können sich schnell abwechseln. Die Heultage vergehen in der Regel von alleine, helfen können hier aber Ruhe und Zuwendung. Da sie nur temporär sind, findet sich für die Heultage auch keine Diagnose einer psychischen Störung. Problematisch ist jedoch, dass andere psychische Störungen mitunter fälschlicherweise als Heultage eingeordnet werden, in Wirklichkeit jedoch Vorboten anderer psychischer Störungen sind.
Als häufigste psychische Störung nach der Geburt wird die postpartale Depression angesehen. Insbesondere die postpartale Depression entwickelt sich mitunter schleichend und wird sowohl von den Betroffenen als auch von Angehörigen oft erst spät bemerkt. Die Betroffenen sind traurig, verlieren das Interesse an Dingen die sonst Spaß gemacht haben, sind leicht erschöpfbar und erleben eine Art Gefühllosigkeit. Oft kommt es zu Grübeleien, die sich thematisch auf das Elternsein beziehen. Gedanken wie „Ich bin ich eine furchtbare Mutter“ oder „Ich kann mein Kind nicht lieben“ können zu starken Schuld- und Insuffizienzgefühlen führen. Auch Gedanken, man könnte dem eigenen Kind etwas antun, wie z. B. „Ich könnte das Kind ausversehen fallen lassen“, kommen vor. An dieser Stelle muss klar gesagt werden, dass nicht nur Mütter, sondern auch Väter eine postpartale Depression bekommen können. Der Worst Case ist natürlich, wenn diese bei beiden Elternteilen auftritt.
Ein weiteres Störungsbild, welches jedoch erst seit kurzer Zeit etwas mehr Beachtung gefunden hat, ist die posttraumatische Belastungsstörung. Insbesondere bei komplikationsreichen Geburtsverläufen oder besonderen Gefahren für das Kind (wie z. B. bei einer Frühgeburt) scheint sich das Risiko für eine entsprechende Diagnose zu erhöhen. Die Beschwerden reichen von Albträumen über die Geburt und anhaltenden negativen Emotionen über die Geburt bis hin zu Schreckhaftigkeit und aggressiven Ausbrüchen.
Sehr selten, dafür aber mit heftigen Symptomen tritt die postpartale Psychose auf. In den dabei auftretenden Halluzinationen und Wahnvorstellungen kommen auch oft die Kinder vor. Beispielsweise könnte eine betroffene Mutter denken: „Mein Kind ist vom Teufel besessen.“ Dieses Störungsbild wird aufgrund der Auffälligkeit zumeist erkannt.
Generell gilt: Es können stets auch Gedanken an den Tod oder Suizidgedanken auftreten. Suizid ist innerhalb eines Jahres nach der Geburt die häufigste Todesursache von Müttern. Daran lässt sich erkennen, dass postpartale psychische Störungen eine wirklich ernste Angelegenheit sind.
Als oberstes Gebot gilt hier: Von herausragender Bedeutung ist zunächst einmal die Erkennung und Diagnose postpartaler psychischer Störungen! Die Behandlung hängt natürlich auch von der Art des Störungsbildes und den auftretenden Beschwerden ab. Bei postpartalen Depressionen und posttraumatischer Belastungsstörung können Gespräche mit der Hebamme helfen. Diese sind in der Regel sehr gut mit den Beschwerden der Mütter vertraut und psychische Störungen sind fester Bestandteil des Curriculums im Studium der Hebammenkunde. Sie können auch zu einer weiterführenden psychotherapeutischen Behandlung motivieren. Bei schweren Verläufen sind auch stationäre Behandlungen auf Mutter-Kind-Stationen möglich. Um das Stillen möglichst lange fortführen zu können, wird nach Möglichkeit auf eine Medikamentengabe verzichtet. Eine medikamentöse Behandlung ist bei einer postpartalen Psychose in der Regel allerdings unumgänglich.
Die Eltern von frühgeborenen Kindern leiden im ersten Jahr nach der Geburt deutlich häufiger an psychischen Störungen als dies bei Eltern von reifgeborenen Kindern der Fall ist. Dabei spielen sehr wahrscheinlich die auftretenden Komplikationen sowie die Sorgen um das Kind eine entscheidende Rolle. Wie bereits gesagt, scheinen nach jetzigem Stand postpartale psychische Störungen häufig unerkannt zu bleiben. Dies trifft auch auf Eltern von Frühgeborenen zu, obwohl die Quote an psychischen Störungen erhöht ist. Ein Bestreben meiner Forschung ist, psychische Störungen in dieser Risikogruppe zu identifizieren und in einem nächsten Schritt geeignete Behandlungsmaßnahmen zu etablieren. Dabei liegt der Fokus vor allem auf der Verhinderung von chronifizierten Depressionen und dem Erkennen von als traumatisch erlebten Geburtsverläufen, um die Ausbildung einer posttraumatischen Belastungsstörung zu unterbinden.
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