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Wenn Coaches ihre Kompetenzen überschreiten

Coaches sollten nur gesunde Klienten betreuen, psychisch Kranke gehören in psychotherapeutische Behandlung. Leider werden Symptome, die auf entsprechende psychische Störungen hinweisen, von Coaches aber nicht immer erkannt. Das zeigt eine an der Hochschule Fresenius Köln entstandene Bachelorarbeit.

Die deutsche Coaching-Szene steht immer wieder in der Kritik. Schließlich kann sich nach aktueller Gesetzeslage jeder „Coach“ nennen – und da mischen sich eben auch hin und wieder schwarze Schafe unter die seriösen Anbieter auf dem Markt.

Problematisch wird es auch, wenn Coaches – unbewusst oder mit Vorsatz – ihre Kompetenzen überschreiten, zum Beispiel, indem sie mit Klienten arbeiten, die eigentlich in psychotherapeutische Behandlung gehören. Denn an dieser Stelle ist die rechtliche Lage klar: Eine Person, die psychisch krank ist, ist ein Fall für den Arzt, Heilpraktiker oder Psychotherapeuten; für die Behandlung einer psychischen Krankheit ist in Deutschland definitiv eine Heilerlaubnis nötig. Coaches verfügen in der Regel nicht über diese Erlaubnis und vermitteln zudem den Eindruck, auch keine Krankheiten zu behandeln.

Doch wo verläuft überhaupt die Grenze zwischen „gesund“ und „psychisch krank“? Hier hilft ein Blick in das International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems (ICD). „Das ICD wird wird turnusmäßig von der Weltgesundheitsorganisation herausgegeben und aktualisiert. Darin werden nicht nur physische, sondern auch psychische Krankheiten beschrieben. Es wird also definiert, was eigentlich eine Depression oder Angststörung genau ist“, erklärt Thomas Webers, Lehrbeauftragter an der Hochschule Fresenius Köln und selbstständiger Coach.

BEI ENTSPRECHENDEN SYMPTOMEN SOLLTE EIN COACH EINE EXPERTENMEINUNG EINHOLEN

Er weiß, dass viele seiner Kollegen aus der Coaching-Branche sich nicht ausreichend mit diesen Krankheitsbildern auseinandersetzen – und dann möglicherweise Coaching-Klienten annehmen, die sie eigentlich an einen Arzt oder Psychotherapeuten verweisen müssten. „Dass ein Coach mit einem Klienten arbeitet, der an einer Depression leidet, sollte unbedingt vermieden werden. Das kann für beide Seiten sehr gefährlich werden“, so Webers. Sofern typische Symptome beim Klienten zu beobachten seien, habe der Coach die Verantwortung, am besten noch vor Beginn des Coachings, abzuklären, ob eine psychische Erkrankung vorliegt. Gegebenenfalls müsse bei Verdacht eine Expertenmeinung eingeholt werden – „leider, so meine begründete Vermutung, geschieht das viel zu selten. Man will seine zahlenden Klienten ja gerne halten.“

Webers stützt sich bei dieser Aussage nicht nur auf persönliche Erfahrungswerte, sondern auch auf die Ergebnisse einer von ihm betreuten Bachelorarbeit. Darin hat Frederik Werner, Absolvent der Hochschule Fresenius Köln, zehn Coaches unter einem Vorwand fiktive Klienten-Profile bewerten lassen und sie danach gefragt, ob sie den Kandidaten coachen würden und wie lange das wohl dauern würde. Einige der Profile wurden dabei mit Informationen angereichert, die der beschriebenen Person eindeutig eine leichte oder mittelgradige depressive Episode bescheinigen. „Keiner der Befragten hat diese Informationen richtig interpretiert und den potenziellen psychotherapeutischen Behandlungsbedarf erkannt. Alle zehn Coaches hätten den Auftrag angenommen“, fasst Webers die Ergebnisse zusammen.

DIE ERGEBNISSE DER BACHELORARBEIT MACHEN DEUTLICH: ES BRAUCHT EINHEITLICHE STANDARDS FÜR DIE COACHING-BRANCHE

„Die Befragten begeben sich damit auf ein rechtlich und moralisch fragwürdiges Gebiet, da sie gegebenenfalls krankheitswertige Symptome ohne entsprechende Fachkenntnis und Erlaubnis angehen und behandeln“, erklärt Webers. Zwar könne die Studie mit nur zehn Teilnehmern natürlich keine Repräsentativität für sich beanspruchen, „dass das Resultat so eindeutig ausfällt, stimmt einen aber schon nachdenklich.“

Webers fordert daher Staat und vor allem die Coaching-Verbände – von denen es in Deutschland mittlerweile weit über zehn verschiedene gibt – auf, endlich einheitliche Standards für die Coaching-Weiterbildungen einzuführen – „sonst wird sich das Image der Coaching-Branche kaum verbessern.“