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„Eine Pause einzulegen, bedeutet nicht automatisch, dass man prokrastiniert“

Seit Anfang dieser Woche zählt für die Studierenden im 6. Semester nur noch eines: die Bachelorthesis. Die Anmeldefrist ist nun abgelaufen, ab dem 18.11.2013 bleiben genau acht Wochen Zeit, diese erste große wissenschaftliche Arbeit zu erstellen. Dabei wird der eine oder andere Bachelorand zeitweise an einer heimtückischen Krankheit leiden: der Aufschieberitis, im Fachdeutsch „Prokrastination“ genannt. Wie man ihr begegnen kann, diskutieren Timo Eppler, erfolgreicher Absolvent der Hochschule Fresenius Hamburg, und die Betreuerin seiner Thesis, Dipl.-Psych. Beate Klofat, im zweiten Teil des großen Bachelorarbeit-Interviews.

SPRICHT MAN ÜBER DIE SCHWIERIGKEITEN BEI DER ERSTELLUNG EINER BACHELORARBEIT, FÄLLT IMMER WIEDER DER BEGRIFF „PROKRASTINATION“. ER GIBT EINEM VERHALTEN EINEN NAMEN, DAS IN DIESER ZEIT HÄUFIG ZU BEOBACHTEN IST – KÖNNEN SIE DIESES VERHALTEN NÄHER ERLÄUTERN, FRAU KLOFAT?

Beate Klofat: Dieses Phänomen lässt sich in der Tat häufig beobachten – und zwar nicht nur unter Studierenden und nicht nur beim Schreiben der Bachelorarbeit. Es geht hier vielmehr um die allgemeine menschliche Tendenz, unangenehmen oder uns scheinbar überfordernden Aufgaben aus dem Weg zu gehen und diese erst einmal zu vermeiden, also zu verschieben. Wenn sich das ungünstigerweise zu einem problematischen Verhaltensmuster ausweitet, spricht man von Prokrastination. Bei der Bachelorarbeit verschiebt man zum Beispiel alle wichtigen Aufgaben bis zum offiziellen Startschuss (im Wintersemester 2013/14 fällt dieser Startschuss am 18. November, Anm. d. Red.), obwohl man mit der Themenfindung und dem Einlesen in die Literatur schon viel früher hätte beginnen sollen. Später verschiebt dann der ein oder andere – sollte es um eine empirische Arbeit gehen – die Durchführung der Befragung und wieder später deren statistische Auswertung. Und das Anfangen mit dem Schreiben selbst wird auch gerne verschoben. So begleitet einen das Thema Prokrastination, oder Impulse dazu, nicht selten über die kompletten sieben Wochen.

WIE KANN MAN GEGENSTEUERN, UM PROKRASTINATION ZU VERHINDERN?

Beate Klofat: Es ist auf jeden Fall sinnvoll, sich in solchen Situationen der Verunsicherung Unterstützung und Rat beim Betreuer zu holen. Dies wird einem auch nicht negativ ausgelegt. Und bevor die Studierenden wertvolle Zeit verlieren, weil sie gerade an einer kniffligen Stelle oder dem anstehenden Arbeitsschritt nicht weiterkommen und deshalb vermeiden und aufschieben, sollten sie lieber eine E-Mail an die Betreuerin oder den Betreuer schreiben und das Problem schildern. Man bekommt mit Sicherheit eine Antwort.

Timo Eppler: Das kann ich nur bestätigen. Ich habe auch an der einen oder anderen Stelle nachgefragt und bin dadurch viel schneller vorangekommen…

Beate Klofat: … und das ist es doch wert! Der Betreuer kann einem hier übrigens schon helfen, bevor die wirkliche Arbeit an der Thesis beginnt: beim Aufstellen eines Zeitplans. Hier hilft zum Beispiel seine Einschätzung, ob die zeitlichen Meilensteine des Vorhabens realistisch gesetzt sind.

Als klinische Psychologin und Psychotherapeutin möchte ich außerdem noch ergänzen, dass Prokrastination nicht immer nur etwas mit Zeitmanagement zu tun hat. Oft spielen Selbstzweifel eine große Rolle: man fühlt sich vielleicht intellektuell nicht im Stande, eine Teilaufgabe zu bewältigen. Das ist mir beispielsweise beim Thema SPSS schon öfters aufgefallen. Viele fürchten sich vor dieser Software und schieben so das Auswerten einer Umfrage immer wieder vor sich her, ohne sich mit dem Programm auseinanderzusetzen. Dabei können sie stattdessen ein SPSS-Tutorium besuchen oder sich mit anderen Studierenden austauschen. Auch die Tendenz, immer alles perfekt machen zu wollen, begünstigt Prokrastination: Weil man mit einem Textabschnitt auch nach dem fünften Feinschliff vor lauter Perfektionismus noch immer unzufrieden ist, verwendet man darauf zu viel Zeit, und sagt sich vielleicht schließlich: „Ach, den mach ich später!“ – und am Schluss muss man dann plötzlich ganz andere Dinge erledigen.

WAS ZUM BEISPIEL?

Beate Klofat: Das formale Finalisieren der Arbeit, Zusammenstellen der Abbildungen und Anhänge, die Endkorrektur, das Erstellen des Literaturverzeichnisses oder die Gestaltung des Deckblatts, und zuletzt noch das Drucken und Binden – den zeitlichen Aufwand dafür sollte man nicht unterschätzen. Am Ende vergisst man vor lauter Zeitknappheit ein wichtiges Detail und findet sich am Abgabetag verzweifelt im Prüfungsamt wieder, in dem einem erzählt wird, dass leider der jetzige Titel der Arbeit nicht wörtlich mit dem ursprünglich eingereichtem Titel übereinstimmt und die Arbeit so nicht abgegeben werden kann. Ein mehr als einmal erlebter Fall und nur ein Beispiel dafür, was kurz vor Torschluss noch alles passieren kann. Deshalb: in den Zeitplan unbedingt Puffer einbauen!

NOCHMAL ZURÜCK ZUM THEMA PROKRASTINATION. HERR EPPLER – ABGESEHEN DAVON, DASS SIE SICH AN IHRE BETREUERIN GEWENDET HABEN – WAS HABEN SIE NOCH GEMACHT, WENN SICH DIE AUFSCHIEBERITIS MAL WIEDER BEMERKBAR GEMACHT HAT?

Timo Eppler: Ich muss sagen, ich habe schon auch mal bewusst prokrastiniert. Es gibt ja immer wieder etwas, was einem im Kopf herumspuckt: man muss noch Wäsche waschen, mit dem Hund rausgehen, man möchte auch mal wieder Sport machen – mit Blick auf meinen Zeitplan habe ich mir diese Pausen immer wieder gegönnt.

Beate Klofat: „Pause“ – das ist ein gutes Stichwort. Pausenmanagement ist nämlich während des Arbeitens an der Bachelorarbeit sehr wichtig. Man darf hier aber nicht durcheinander bringen: Eine Pause einzulegen, um zum Beispiel einen Ausflug zu machen oder Sport zu treiben, bedeutet nicht automatisch, dass man prokrastiniert. Man sollte in diesem Zusammenhang besser von „erholen“ sprechen. Denn Erholungsphasen brauchen wir zweifelsfrei: Unser Gehirn ist nicht dafür gemacht, acht Stunden am Tag, sieben Tage die Woche zu funktionieren. Pausen steigern nachweislich die Konzentrationsfähigkeit – und eröffnen häufig neue Perspektiven: begibt man sich zum Beispiel in eine andere Umgebung, um spazieren zu gehen oder sich einfach ein bisschen zu bewegen, dann kommt man auf andere Gedanken und entwickelt vielleicht Ideen, die einem auch bei der Bachelorarbeit weiterhelfen können. Das kann beim Duschen, Rad fahren, Brötchen holen passieren, oder wenn man zwischendurch mal Fenster putzt oder Hemden bügelt. Wobei dies dann schon wieder ein Prokrastinationsmuster sein kann, bei dem selbst sonst ungeliebte Putzarbeiten als Vermeidungsstrategie herhalten können.

AUF DAS FENSTERPUTZEN ODER BÜGELN TRIFFT DAS VIELLEICHT JETZT NICHT ZU, ABER GRUNDSÄTZLICH SOLLTE MAN DIE AKTIVITÄTEN, MIT DENEN MAN SEINE PAUSEN FÜLLT, AUCH ALS BELOHNUNG VERSTEHEN, ODER?

Beate Klofat: Absolut. Man kann sich beispielsweise kleine Etappenziele setzen. Nach dem Motto: „Wenn ich diesen Abschnitt fertiggeschrieben habe, dann darf ich mir guten Gewissens etwas Gutes, zum Beispiel ein leckeres Essen gönnen!“

Timo Eppler: Ja, das hat mir auch geholfen. Ich habe mich immer wieder selbst für bestimmte Arbeitsschritte belohnt, mich sozusagen von Belohnung zu Belohnung gehangelt. Letztlich konnte ich mich mit diesem Prinzip immer wieder von Neuem motivieren.